Ein letzter Spaziergang

Die Wahrscheinlichkeit, Vietnam noch einmal zu bereisen, ist klein. Nicht weil ich das Land nun gesehen hätte – mitnichten. Schon gar nicht, weil ich meiner vietnamesischen „Verwandtschaft“ überdrüssig wäre. Aber meine Flug- und Tourismusscham wird bei mir mit Sicherheit jede Form von „Lust dazu“ schon im Keim ersticken.


Aber weil es der letzte Tag in der südlichsten, grösseren Stadt Ca Mau war und uns der Bus nach Saigon zum Flughafen am nächsten Morgen schon um sechs vor dem Hotel einsammeln wird, wagte ich mich nachmittags noch einmal hinaus in die feuchte Hitze.
Ein letzter Spaziergang. Ein letztes Mal die erstaunten Gesichter Einheimischer, wenn ein paar europäisch aussehende, weisse Männer durch die Strassen bummeln und Unerklärliches fotografieren.

Es gibt sie überall, die entzückenden Details, aber man muss sie sehen, nach ihnen suchen oder den Ausschnitt wählen. Ganz in der Nähe unseres Hotels befindet sich der „Vogelpark“, wohl eher einer der unzähligen Parks im Land zu Ehren Ho Chi Minhs, dem eigentlichen Landesvater Vietnams (1890 – 1969, vietnamesischer Revolutionär, kommunistischer Politiker und von 1945 bis zu seinem Tod Präsident der Demokratischen Republik Vietnams). Prächtig angelegt, aber zu grossen Teilen verkommen und kurz vor dem „Kollabieren“. Stehendes Wasser stinkt und von den Vögeln auf verblichenen Plakaten ist keiner geblieben, zumindest habe ich keinen gesehen. Der Park wurde wohl einst als zukünftige Sehenswürdigkeit der Stadt angelegt. Aber weil die erhofften Touristenströme ausblieben, verkommt nicht nur der Park, auch die Promenade am Fluss, das Shoppingcenter oder das Hotel, in dem wir logieren.

Wir spazieren der Hauptstrasse entlang. Die Läden sind vielfältig, vom Süsswarenhersteller über Apotheken alle paar hundert Meter, Handwerksschuppen, Möbelgeschäfte, offene Schlachtereien (an einem Stand sitzen mehrere Frauen um ebenso viele Plastikwannen und zerschneiden mit Scheren Frösche), Läden für Monsterkühlschränke und Tresore, Textilgeschäfte hinter Schaufensterpuppen mit westlichen Gesichtern und Läden, bei denen zumindest meinerseits nicht eruierbar ist, was die Produktpalette ausmachen soll. Und überall Imbiss- und Verpflegungsmöglichkeiten, die einen angeschrieben mit „Café“, aber der Kaffee ist mit Eis, gesüsst mit Zucker und Kondensmilch, klebrig geil.
Erst am Ende dieses letzten Spaziergangs finden wir ein Café, das Trung Nguyên Legend Café, wo man Café trinken kann, der meinen Ansprüchen genügt – eben Kaffee – heiss mit Schäumchen!

Wer zu Fuss geht und einen Blick hinter Absperrungen, Sichtsperren oder in kleine Gassen wirft, sieht als biederer Schweizer Dinge, die einem mehr als nachdenklich machen; nicht nur die komplett schimmelschwarzen Gebäude, nicht nur all der liegengebliebene Müll, sondern die Ahnung, dass dort Menschen leben, Kinder aufwachsen und bei Regen eine trübe Suppe fliesst.

Ich werde morgen in den Bus steigen und Tage später mit Sicherheit ungläubig den idyllischen Ausschnitt vieler Fotos bewundern.
Am letzten Abend bei der Gastgeberin zum Essen eingeladen, sitzen Vietnamesinnen und Schweizer auf dem Fussboden und spielen mit grösstem Vergnügen völkerverbindendes „UNO“!