Eine Perle aus der Edition Thurnhof. «Die Reststrahlung der Zukunft, Einundzwanzig wahre Geschichten» ist eine gestalterische Offenbarung, Papier gewordene Kunst. Ein Fetisch!
Andere kaufen sich Schuhe, auch wenn keine Anschaffung notwendig wäre. Eine Tasche, einfach nur, weil sie schön ist. Oder ein Nippes, das sich dann irgendwann in den Tiefen des Hausstands verliert. Ich glaube, dass 95 % aller Onlinekäufe Kompensationshandlungen sind, auch wenn alle wissen, wie kurz die Befriedigung ist. Einmal beim Klicken auf den Button „Kaufen“ und ein zweites Mal beim Auspacken, beim Entfernen der Plastiktüte. Ich wohne in einem Mehrfamilienhaus und kann mir nicht vorstellen, dass alles, was sich dort an gewissen Tagen stapelt, notwendig und unverzichtbar sein sollte. Über die Gründe all dieser Kompensionshandlungen liesse sich ellenlang spekulieren. Und ich gestehe feierlich, dass ich nicht davor gefeit bin.
Ich kaufe aber nur noch selten Bücher, bin in der komfortablen Situation, dass die Bücher, manchmal auch ungefragt, zu mir kommen. Nicht als Geschenk, aber mit der unausgesprochenen Aufforderung, doch bitte darüber zu schreiben. Aber manchmal kaufe ich doch. Zahle gar Preise, die in keiner Weise der gekauften Lesezeit entsprechen, einfach nur, weil ich das Buch besitzen will, weil ich mit den Fingern über das dicke Papier streicheln will, weil ich lesen, schauen, staunen und verweilen will. Kompensation? Als stiller Protest gegen den reinen Konsum? Gegen die Schnelligkeit? Das Verbrauchen?

Offsetlith, 2025, Offsetlithografien vom Stefan Zsaitsits, € 27.00, ISBN 978-3-900678-72-2
Bei diesem einen Buch ist die Anschaffung ein Statement. Für das Schöne und Gute. Für die Kunst. Für die Liebe zur Leidenschaft. Für ein Objekt, mit dem nicht einfach Gewinn generiert werden soll, ganz nach dem Motto „Mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Kohle“. Ein Buch aus der Edition Thurnhof, aus der Hand eines Verlegers, der nicht die grosse Bühne sucht, dessen Bücher nie auf Bestsellerlisten landen, dessen Leidenschaft nichts mit den Gesetzen von Aufwand und Ertrag gemein haben.
Seit über 40 Jahren entstehen im Niederösterreichischen Horn (wenn man dem Blick vom Satelliten glaubt mitten im Wald) Bücher, die ihresgleichen suchen. Toni Kurz und seine Frau Christa schaffen Druckkunstwerke, die Literatur und Illustration mit Sorgfalt, Kompromisslosigkeit und dem unbestechlichen Blick für Qualität vereinen. Über die Jahre muss der Verleger Toni Kurz ein bestechendes Netz zwischen Kunstschaffenden aufgebaut haben, das auch den Schreibenden, Malenden, Zeichnenden und Druckenden jenen Wert verspricht, der weit über das Finanzielle hinausgeht.
Auf die Frage, warum gerade Clemens J. Setz schrieb Toni Kurz: Ich habe natürlich schon gewusst, wer Setz ist, aber ich war nie der, der hinter den bekannten Namen her ist wie der Teufel hinter den armen Seelen. Ich lass auch den Leuten gerne Zeit, die sie ja brauchen, die Dinge werden schon, wenn sie reif sind.
Clemens J. Setz, ein ganz Grosser der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, Büchner Preisträger 2021 und Stefan Zsaitsits, Künstler, Grafiker und Zeichner schufen in der Reihe der Edition Thurnhof mit „Die Reststrahlung der Zukunft – Einundzwanzig wahre Geschichten“ ein Buchkunstwerk, das mein Herz schneller schlagen lässt. Literarische Miniaturen erzählt mit Schalk und der Überzeugung, dass Literatur auch ein Kampf gegen die Bedeutungslosigkeit ist, gepaart mit messerscharfen Illustrationen, gekonnt in Szene gesetzt, weit mehr als die Bebilderung dessen, was Setz inszeniert.
Auf die Frage, wie er zum Künstler Stefan Zsaitsits kam: 2012 habe ich ein Buch mit Barbara Frischmuth gemacht, die damals auf meine Anfrage geantwortet hat, sie kennt meine Reihe Oxohyph und würde gerne was machen, nur würde das länger dauern, weil sie mit einem neuen grossen Roman viel auf Lesereisen unterwegs wäre und keine Ruhe zum Schreiben hätte. Als ich auf ihre Frage, wer denn da die Bilder machen sollte, Zsaitsits genannt habe, hat sie erfreut ausgerufen „Der Stefan? Von dem habe ich zwei Zeichnungen in meiner Schreibstube hängen“, und mir binnen einer Woche in einem Express-Brief die Erzählungen „Der Hals der Sängerin“ geschickt, ein Buch, das schon vergriffen ist.
In kleiner Auflage für LiebhaberInnen, in noch viel kleinerer Auflage für all jene, die noch eins oder zwei drauf haben wollen, nummeriert und signiert, in Holzschuber mit Orignalzeichnung. Ich liebe es!
Clemens J. Setz wurde 1982 in Graz geboren, wo er Mathematik und Germanistik studierte. Heute lebt er mit seiner Frau und seiner Tochter als Übersetzer und freier Schriftsteller in Wien. 2011 wurde er für seinen Erzählband Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Zuletzt wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis 2021 und dem Österreichischen Buchpreis 2023 geehrt.
Stefan Zsaitsits, geboren 1981 in Niederösterreich, Künstler, Grafiker und Zeichner, studierte von 2001 bis 2006 Malerei in der Meisterklasse von Adolf Frohner an der Universität für angewandte Kunst Wien. Seine Werke werden in Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt und sind in nationalen sowie internationalen Sammlungen vertreten, darunter in der Albertina Wien, ebenso wie in zahlreichen privaten Sammlungen.
Webseite des Künstlers Stefan Zsaitsits
Beitragsbilder © Stefan Zsaitsits
