«Zwei Leben» heisst der neue Roman von Ewald Arenz und er betont, wie wichtig die Empathie für sein Schreiben ist. Ewald Arenz ist mit diesem Roman Gast am Wortlaut Literaturfestival in St. Gallen.Gastgeitrag von
Urs Heinz Aerni
Urs Heinz Aerni: Herr Arenz, Ihr neues Buch liegt in den Buchhandlungen, und schön ist es geworden, dann das Auge liest ja mit. Können Sie als Autor bei der Aufmachung vom Cover über Schriftbild bis zum Lesebändchen mitreden?
Ewald Arenz: Ganz anders, als man gemeinhin denkt: Nein. Kein bisschen. Ich bekomme die Coverentwürfe zwar geschickt und kann sagen, was mir am besten gefällt, aber letztlich entscheidet doch der Verlag. Und das ist gut so.
Aerni: Warum?
Arenz: Wenn ich Grafiker hätte werden wollen, dann könnte ich jetzt keine Romane schreiben. Die Herstellerinnen bei DuMont wissen wirklich, was sie tun und ich verlasse mich völlig auf sie.
Aerni: «Zwei Leben» ist ein stiller, berührender Roman natürlich mit der Liebe als zentrales Thema. Was auffällt ist, dass sie aus der Perspektive von Roberta erzählen. Wie können wir das Hineinversetzen in weibliche Protagonistin als Mann vorstellen?
Arenz: Ich werde das seit «Alte Sorten» häufig gefragt.
Aerni: … Ihr Roman, der 2019 erschienen ist…
Arenz: Die Antwort ist: Es hilft, wenn man als Mann und Autor Frauen einfach mal zuhört. Ich glaube, das tun wir viel zu wenig. Und dann sind wir gar nicht so unterschiedlich. Ich meine, wer fragt Donna Leon, wie sie sich in Commissario Brunetti hineinversetzt?
Aerni: Gute Frage.
Arenz: Als guter Schriftsteller – ich wähle hier bewusst die männliche Form – muss man sich in alle hineinversetzen können. Empathie ist eine Grundvoraussetzung für gelungenes Schreiben.
Aerni: Der Roman beginnt in den 1970er Jahren, in Süddeutschland. Wie trifft man den Ton und die Farben von Jahren, die schon lange her sind? Oder wie gingen Sie da vor?

Arenz: 1971 war ich sechs Jahre alt und lebte in einem kleinen Dorf im fränkischen Jura. Jedes Bild, alles Gehörte und Erlebte ging direkt in mich hinein. Ich musste nur aus der Erinnerung schöpfen. Und dann blätterte ich in den alten Fotoalben meiner Eltern und jedes Bild weckte eine Vielzahl an neuen Szenen.
Aerni: «Als sie aus dem Zug stieg, wehte es ihr frisch um die Haare und ins Gesicht; ein ganz zarter Duft darin wie von frisch gepflügter Erde. Ein Frühlingsversprechen». Diese Passage zeugt von Ihrer Affinität zu Landschaft und Natur. Hilft die Sprache für die Tiefe des eigenen Geniessens?
Arenz: Die Sprache ist das A und O. Wenn ich erzähle, möchte ich, dass meine Sprache ist wie ein eleganter Rolls Royce. Man hört ihn kaum, aber er bringt einen mit grosser Sicherheit an den Ort des Erzählten. Meine Sprache muss Bilder transportieren, die im Kopf der Leserin erblühen. Sie ist essenziell.
Aerni: Der Roman thematisiert auch die Ambivalenz zwischen den Sehnsüchten, einerseits nach Urbanität und Karriere in der Modewelt, andererseits nach dem Dorfleben mit der Landwirtschaft und Natur drum herum. Wohin zieht es Sie momentan eher?
Arenz: Ich habe das grosse Privileg, in beiden Welten leben zu können. Lebte ich nur in einer, dann würde es mich unweigerlich immer auch in die andere ziehen.
Aerni: Sie studierten unter anderem englische und amerikanische Literatur und es dünkt, dass die amerikanische Erzählkultur mit ihren Weiten und Familienchroniken Ihr eigenes Schreiben prägt. Oder?
Arenz: Sowohl die amerikanische wie auch die englische Literatur haben mein Schreiben geprägt. Dos Passos genauso wie Steinbeck oder Phlip K. Dick, die Brontës nicht weniger als Jane Austen. Aber alles in allem sind es doch auch und immer wieder die deutschsprachigen Schriftstellerinnen und Schriftsteller – darunter nicht zuletzt Max Frisch und Dürrenmatt. Ist es nicht grossartig, dass Literatur so nationenübergreifend wirkt?
Aerni: Sehr. Davon könnte die politische Welt wohl noch lernen. Von schreibenden Zunft wird oft erwartet, dass sie sich gesellschaftlich ja sogar politisch mehr engagieren müssten, da sie ja mit der Sprache und Inhalten arbeitet im Gegensatz zur Musik oder Malerei. Sie tun dies unter anderem auch durch Stellungnahme zu Vernunft und Ängsten vor dem Fremden. Aber was meinen Sie zu dieser Erwartungshaltung?
Arenz: Ich bin politisch in der kleinsten Zelle der Gesellschaft, in ihrem Kern, der Familie und dem engsten Umfeld. Dort beginnt alles: Toleranz und Vergebung und das Gespräch miteinander. Von dort aus wirken wir weiter. Wenn wir uns in der Familie nicht zuhören und uns verzeihen können, wie dann im Grossen? Ich bin auch parteipolitisch engagiert, aber ich glaube, dass ich mit Literatur mehr bewirken kann.
Aerni: Wenn ein Roman veröffentlicht ist, kommen die Interviews und die Lesungen. Wie bereiten Sie sich auf die lebendige Phase des Schriftstellerlebens vor, da doch das Schreiben eine ruhige und zurückgezogene Angelegenheit ist?
Arenz: Ach, das sind doch die schönen und lebendigen Stunden. Schreiben ist manchmal eine verteufelt einsame Angelegenheit mit tausend Selbstzweifeln und manchmal sehr dunklen Stunden. Da bin ich froh über Lesungen und den echten Kontakt zum Publikum.
Aerni: Dürften wir erfahren, wie Ihr Lieblingsschreibort aussieht?
Arenz: Immer wieder: Mein Schreibtisch in meinem Arbeitszimmer. Es gibt einen Blick auf den verwilderten Garten und den Blick auf eines meiner Lieblingsbilder – ein Gemälde meiner künstlerisch so begabten Grossmutter.
Aerni: Erlauben Sie mir noch zum Schluss folgende Frage: an welchem Ort als Kulisse würden Sie mal gerne einen Roman platzieren?
Arenz: Jedenfalls nicht in Berlin. Aber ganz ehrlich: Der Mars würde mich mal reizen…
(Zuerst erschienen im Magazin «Lesen» von Orell Füssli Schweiz.)Ewald Arenz wurde 1965 in Nürnberg geboren, hat englische und amerikanische Literatur und Geschichte studiert. Er arbeitet als Lehrer an einem Gymnasium in Nürnberg. Seine Romane und Theaterstücke sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Mit «Alte Sorten» (DuMont 2019) stand er auf der Liste »Lieblingsbuch der Unabhängigen« 2019 und «Der große Sommer» (2021) erhielt 2021 ebenjene Auszeichnung. Zuletzt erschien «Die Liebe an miesen Tagen» (2023).
Beitragsbild © Ilka Birkefeld