Ich las Sascha Kokots Lyrikband «Ferner» auf einer Fahrt mit dem Zug, dem Bodensee entlang. Ich las immer wieder, mit Pausen, liess das Buch sinken, las weiter. Die Gedichte schärfen den Blick, auch wenn sie es mir nicht leicht machen. Sie zwingen mich hinein- und nicht darüberzulesen. Sprachkunst, herausgegeben in einer wunderschönen Ausgabe!
dieser Tage springt es dir wieder in die Knochen
dieser Tage springt es dir
wieder in die Knochen
lagert sich in den Gelenken ab
holt dich ein weit vor dem Morgen
dann liegst du wach weisst nicht
wie dir geschieht woher das kommt
was da bleiben wird
nur dieses schmale Zimmer
die falsch furnierten Möbel
das angekippte Fenster
ein Spalt zur Strasse hin
das Rauschen in den Pappeln
trieb mich durch die Nächte
du hörst dort nichts mehr
und fragst stumm in dich hinein
wann fing es an dass ich
mich nicht mehr nähern konnte
sobald die Sonne vertrieben ist
sobald die Sonne vertrieben ist
tauchen die Schwärme auf
sie kreisen über den Dächern
lassen sich für einen Moment
auf den steifen Ästen nieder
jagen unvermittelt wieder fort
verschwinden aus dem Blickfeld
unserer noch nicht erleuchteten Fenster
brechen durch das Gestrüpp höherer Flugrouten
lassen uns einen dämmernden Himmel zurück
den wir nicht deuten können
Sascha Kokot beschreibt Landschaften, innere und äussere. Und machmal dreht sich dieser Blick unvermittelt, plötzlich. Ein Blick in den Himmel wird zur Frage nach Innen. Sascha Kokots Gedichte erschliessen sich mir nur langsam, die einen gar nicht, oder noch nicht. Macht nichts, denn Sascha Kokot verspricht mir mit seiner Sprache vieles. Es sind Bilder, die nicht abbilden, nicht einfach zeigen, obwohl ich im Blitzlicht des Lesens Konturen erkenne. Es bleibt stets Geheimnis, nicht zuletzt in den Überschriften zu den Gedichtgruppen: Drift, Transit, Graphen, Schären, Filament (Nachgesucht: Textilfaser).
«Kokots Gedichte mit ihrer melancholischen Zugewandtheit führen direkt unter die dünne Haut der Dinge und Erscheinungen – präzis arbeitende Sonden, die Bilder von großer Einprägsamkeit versenden.»
Daniela Danz
Sascha Kokot, 1982 in der Altmark geboren und aufgewachsen, lebt als freier Autor und Fotograf in Leipzig. Nach einer Lehre als Informatiker in Hamburg und einem längeren Aufenthalt in Australien studierte er am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Er war Stipendiat der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und der Albert Koechlin Stiftung. Für seine Arbeiten wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. 2012 mit dem zweiten Feldkircher Lyrikpreis und 2014 mit dem Georg-Kaiser-Förderpreis.
Ich danke dem Autor für die Erlaubnis zwei seiner Gedichte aus dem Band «Ferner» hier wiedergeben zu dürfen!
Titelbild: Sandra Kottonau