Isabelle Flükiger «Gloria. Mohammed. Eine Erzählung von der dunklen Seite des Glücks», Rotpunkt

Gloria kommt aus Kamerun, Mohammed aus Marokko. Beide leben als Sans-Papiers in der Schweiz, sie als Nanny, er auf dem Bau. So wie Tausende in der Schweiz über Jahrzehnte illegal arbeiten, meist ohne Sozialversicherungen, in einer Schattenwelt. Isabelle Flükiger bricht in ihrer literarischen Reportage eine Lanze, wird zu einem Sprachrohr derer, die sich aus lauter Angst nicht trauen.

Isabelle Flükiger ist schockiert, als sie erfährt, dass eine ihrer Freundinnen eine „Sans-Papiers“ beschäftigt, die sich um ihre beiden Kinder kümmert. Die Schriftstellerin lernt die Frau aus Kamerun kennen, die damals seit 15 Jahren ohne gültige Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz lebte und arbeitete. 15 Jahre weit weg von einer Heimat, die ihr und ihrer Familie keine Überlebenschance ermöglicht, 15 Jahre weg von ihren Kindern, die bei ihrer Schwester aufwachsen, deren Leben sie aus der Schweiz finanziert. Hier Familien, die sich eine Nanny leisten können, um sich den Traum einer Familie zu verwirklichen. Dort eine Familie, die hinnehmen muss, dass sie fast ohne Perspektiven schutzlos in einer dunklen Nische der Gesellschaft diesem einen Traum anderer dienen muss.

Im Laufe ihrer Recherchen, auch der Auseinandersetzung mit Beamten, Ämtern, Paragraphen und Gesetzen, lernt Isabelle Flükiger auch Mohammed kennen. Mohammed ist 26, aus Marokko, und lebt bei ihrem ersten Zusammentreffen seit fünf Jahren in der Schweiz, arbeitet manchmal 14 Stungen pro Tag für 1000 Franken im Monat, bezahlt die Hälfte dafür für ein Bett in einer kläglichen Absteige und lebt in der permanenten Angst davor, im Gefängnis zu landen oder abgeschoben zu werden. Wehe ihnen, wenn ihnen etwas bei der Arbeit zustösst, wenn Unfall oder Krankheit das Funktionieren abbricht. Mohammed ist ein abgewiesener Asylbewerber. Einer, dem man ein weisses Stück Papier zusandte mit der Aufforderung, das Land zu verlassen, ohne gültige Ausweise, ohne Zukunft. Damals, als er seine Heimat verliess, stürzte sich seine ganze Familie in den Ruin, damit er sein Glück finden sollte, und mit ihm die ganze Familie.

Isabelle Flükiger «Gloria.Mohammed. Eine Erzählung von der dunklen Seite des Glücks», Rotpunkt, 2025, aus dem Französischen von Ruth Gantert, 168 Seiten, CHF ca. 28.00, ISBN 978-3-03973-053-7

Gloria ist gut in dem, was ihr aufgetragen wird. Kinder mögen sie. Sie selbst lebt in dem, was andere Freizeit nennen, in einer kleinen Wohnung in einem Quartier in einer Stadt, die sie nicht mag. Dient Erwachsenen, die ihr permanent unter die Nase binden, wie froh und dankbar sie sein muss, dass sie als Illegale eine so gut bezahlte Arbeit bekommt. Gloria sammelt in einem Ordner all die Korrespondenz, die als Kampfspur für ihre Rechte hinter ihr liegt. Rechte, die ihr nicht zuletzt von einem heuchlerischen System verweigert werden, einem System, das auf diese Arbeit angewiesen ist, eine Gesellschaft, die sich gnadenlos an diesen Arbeitskräften bedient und dabei auch noch glaubt, etwas Gutes zu tun. 

Ein Leben in der Schweiz, das jene, die weit unter dem Existenzminimum vegetieren müssen noch weiter in die Illigalität drängt. So wie Mohammed, den die Polizei auf einer Baustelle nach Kontrollen erwischt und mit auf den Posten nimmt. Die drei Mobiltelefone bei ihm findet und feststellt, dass eines davon gestohlen wurde. Mohammed, ausgebeutet von seinen Arbeitgebern, ausgebeutet von jenen, die ihm ein Bett vermieten, enttäuscht von einer erhofften Liebe, ausgerechnet die Tochter seines Chefs, von der Polizei gezwungen einen Kameraden zu verraten, um der Gefängniszelle zu entgehen, fürchtet sich vor jeder Spur, die er hinterlässt. Immer noch ein Widerhaken mehr, der in nicht aus seinem Schlamassel freilässt.

Was Isabelle Flükiger in eindrücklicher Weise gelingt, ist die Mischung aus empathischer Schilderung zweier Schicksale, ohne dabei allzu sehr in Emotionen zu rühren, und der schonungslosen Auflistung all jener Spielweisen bürokratischer und politischer Kräfte, die alles daran setzen, dass jenen gegeben wird, die bereits haben und all die goldenen Brunnen, die die Konten füllen munter weiter fliessen. Von einer Baubranche, die ihren Gewinn auf dem Rücken derer maximiert, die sich nicht zur Wehr setzen können und gezwungen sind, zu nehmen, was ihnen geboten wird. Von wohlhabenden Menschen, die sich mit ungeheuerlicher Arroganz und Gedankenlosigkeit am Glück anderer bedienen, um das eigene aufrecht zu halten. „Gloria.Mohammed. Eine Erzählung von der dunklen Seite des Glücks“ ist maximal ehrlich und macht tief betroffen.

Isabelle Flükiger wurde 1979 im westschweizerischen Freiburg geboren. Nach ihrem Studium der Politik- und Literaturwissenschaft und einem längeren Berlin-Aufenthalt lebt sie heute in Bern. Von ihren in der Romandie vielfach ausgezeichneten fünf Romanen liegt auf Deutsch Bestseller vor (Rotpunktverlag, 2013), dessen „Pfiffigkeit und Scharfsinn“ (NZZ) von der Presse einhellig gelobt wurde.

Ruth Gantert, 1967 in Zürich geboren, studierte Romanistik in Zürich, Paris und Pisa. Sie war Dozentin für französische Literatur an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen und arbeitet heute als Literaturvermittlerin, Übersetzerin und Redaktionsleiterin des dreisprachigen Jahrbuchs der Schweizer Literaturen Viceversa. Sie lebt in Zürich.

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