literaturblatt.ch fragt, Teil 1, Jens Steiner antwortet.

Jens Steiner, 2013 Träger des Schweizer Buchpreises, «Hausautor» beim überaus verdienten Dörlemann Verlag und schon einmal Gast an einer Hauslesung bei uns in Amriswil, antwortete mir auf ein paar Fragen, die ich ihm mit dem zugeschickten 31. Literaturblatt stellte.  Fragen, die ich einer ganzen Reihe von Schriftstellerinnen und Schriftstellern stellte. Hier Teil 1 mit Jens Steiner:

Es gibt Schreibende, die Geschichten erzählen wollen, mit Spannung fesseln. Was wollen Sie mit Ihrem Schreiben?

Ich will fesselnde Geschichten erzählen, wobei sie das auf verschiedene Weise sein können: durch spannende Handlung, ihre Sprache oder überraschende Perspektiven. Ob meine Bücher politisch und gesellschaftskritisch sind, soll jede Leserin und jeder Leser für sich entscheiden. Tatsache scheint mir, dass Gegenwartszusammenhänge (dazu gehören selbstverständlich auch solche, die man den Bereichen Politik und Gesellschaft zuordnet) in alle meine Texte hineinreichen, ob ich es nun will oder nicht. Über das Warum gibt vielleicht meine nächste Antwort Auskunft.

Lassen Sie sich während des Schreibens beeinflussen, verleiten, verführen?

Aber natürlich, wie sollte es anders gehen? Ich hätte bis heute wohl keinen einzigen literarischen Text geschrieben, wenn ich mich nicht ständig von allem, was um mich herum ist, mich lockt, piekst und kratzt, verleiten liesse, seien das nun andere Autorinnen und Autoren, Musik, die Amsel vor meinem Fenster, Zeitungslektüre oder Begegnungen mit freundlichen und weniger freundlichen Zeitgenossen. Als Autor bin ich der Fleischwolf, der das alles zu exquisiten Literaturwürsten verarbeitet (für Vegetarier: der Mixer, der alles zu einem leckeren Wort-Hummus verquirlt).

Hat Literatur im Gegensatz zu allen anderen Künsten eine spezielle Verantwortung?

Die Forderung hat unter anderem deshalb ihre Berechtigung, weil Literaturschaffende sich oft zwischen Kunst und Nicht-Kunst bewegen. Die Essayistik beispielsweise verwendet Elemente des Literarischen, verfährt aber auch rational-argumentativ. Im Gegensatz zu anderen Künsten macht das die Literatur anschlussfähiger für den Diskurs der Medienschaffenden (meist sind sie es, die die Stimme der Schriftsteller fordern). Ärgerlich in diesem Zusammenhang finde ich, dass viele Medienschaffende gegenwärtig genau eine Kategorie von Schriftstellern in diesem Sinn für anschlussfähig halten, nämlich die Kategorie »Max-Frisch-Nachfolger« (die im Moment genau einen Vertreter hat, nämlich Lukas Bärfuss). Nichts gegen Bärfuss, aber es gibt viele – und auch viele junge! – Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die politische und gesellschaftskritische Voten abgeben, ohne auf die immergleichen Max-Frisch-Maschen zurückgreifen zu müssen. Macht mal die Augen auf, Medienschaffende!

Gibt es die viel zitierte Einsamkeit des Schreibens …?

Schreiben kann ein sozialer Prozess sein. Es gibt Autorenkollektive, Schreibseminare und Poetry Slams, wo Texte im besten Fall aus dem Stegreif und im direkten Austausch mit dem Publikum entstehen. Viel öfter aber wird das Schreiben bei uns als einsamer Prozess kultiviert, und ich nehme mich von dieser Tradition nicht aus. Wobei, ist dieser Prozess wirklich so einsam? Wenn ich schreibe, bin ich in ständigem Kontakt mit den Dingen, mit dem, was mich pausenlos lockt, piekst und kratzt (s.o.) und auf diese Weise mit mir spricht. Menschliches Gelaber hat die unerfreuliche Neigung, all diese Stimmen zu unterdrücken, weshalb ich beim Schreiben gerne allein bin. Aber eben nicht einsam.

Zählen Sie drei Bücher auf, die Sie prägten …?

„Chronik eines angekündigten Todes“ von Gabriel García Márquez (handwerkliche Perfektion, die nicht genug bewundert werden kann). „Catch-22“ von Joseph Heller (auch perfekt, weil fesselnd, politisch und gesellschaftskritisch in einem). „Ich habe den englischen König bedient“ von Bohumil Hrabal (poetisch, absurd, herrlich!).

Jens Steiner, vielen Dank!

image[1]Jens Steiner, geboren 1975, studierte Germanistik, Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaft in Zürich und Genf. Sein erster Roman «Hasenleben» (2011) stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2011 und erhielt den Förderpreis der Schweizerischen Schillerstiftung. Jens Steiner wurde 2012 mit dem Preis »Das zweite Buch« der Marianne und Curt Dienemann-Stiftung ausgezeichnet. 2013 gewann er mit «Carambole» den Schweizer Buchpreis und stand erneut auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Letzter Roman war wie immer bei Dörlemann «Junger Mann mit unauffälliger Vergangenheit».

imgres«Carambole» ein Dorf im Sommer – irgendwo. Jens Steiner, der schon mit seinem ersten Roman «Hasenleben» zeigte, wie nah er sich an Personen heranschreiben kann, wurde 2013 zurecht als Seismologe eines ganzen Dorfes auf die Longlist des Deutschen Buchpreises gesetzt. Er beschreibt kleine Katastrophen ebenso gekonnt, wie er mit der Lupe über den Seelen der Menschen brennt. Die Sommeridylle trügt, das Dorf kocht! Jugendliche, die kurz vor den Sommerferien das drohende Sommerloch mit Plänen füllen, aus denen «sowieso nichts wird». Familien, die zerbrechen, Generationen, die einander nicht mehr verstehen. So wie ein paar Männer im Dorf die Zeit mit dem Brettspiel Carambole totschlagen, entwirft Jens Steiner das Gesicht des Dorfes mit einem Spiel in 12 Runden. Ein meisterliches Gefüge!

imgres-1«Junger Mann mit unauffälliger Vergangenheit» Alles beginnt harmlos mit einem Jungenstreich: Die Studenten Paul und Magnus planen einen Anschlag auf den Medienzar Kudelka während dessen Auftritt an der Universität. Erstaunt, wie gut das gelingt, sind sie gleichzeitig enttäuscht, dass ihre Tat quasi ohne Folgen bleibt. Doch dann geschieht Unerwartetes: Ein Museum voller sprechender Objekte, ein Teelöffel Salz und eine Pizza lassen Pauls Leben komplett aus den Fugen geraten. Er findet sich als Gefangener in einer fremden Wohnung und erfährt, dass Kudelka entführt wurde – und dass er als Hauptverdächtiger gesucht wird. Nun beginnt eine raffinierte und spannende Verfolgungsgeschichte nach Südfrankreich – mit überraschendem Ende.

Weitere Informationen zu Jens Steiner unter seiner Webseite.

Das war der 1. Teil einer kleinen Reihe. Am 15. Juli antwortet Christine Fischer. Seien Sie wieder dabei!

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