21. Literaturfestival Leukerbad 2016: Urs Mannhart, der stille Beobachter

Trotz der Sonne sitzt Urs Mannhart zusammen mit Daniel Puntas Bernet in der halbdunklen Hotelbar «les sources des alpes». Bernet ist Chefredakteur der Zeitschrift «Reportagen», in dessen neuster Ausgabe Urs Mannhart eine Reportage veröffentlichte mit dem Titel «Verloren in Chongqing – lost in translation: Ein Reporter verliert sich in Chongqing, der grössten Stadt der Welt».

Urs Mannhart ist ein «Mann des 19. Jahrhunderts», zu Fuss, mit Zug und Fahrrad unterwegs, mit einem Stift in Notizbücher schreibend, kritzelnd, ein Langsamreisender, ein Genauhinschauer, Schriftsteller und Reporter zugleich, weil die wirklich interessanten Dinge mit «Unfällen» zu tun haben. Nach einer überteuerten Offerte bei seinem Zahnarzt vor vielen Jahren, war es eine mannhart[1]Reise nach Ungarn, die neben einem dort zurückgelassenen Weisheitszahn so doch die erste Reportage mit sich brachte. In einer anderen Reportage war er ursprünglich auf der «Suche nach der Herkunft des Erdgases aus seiner Heizung, die kalt geblieben war». Herausgekommen ist der Report einer Reise ganz in den Norden Russlands, in ein kleines Dorf, dessen Geheimnisse nur durch geduldiges Beobachten zu ergründen waren. Ein «Ahnungsloser» unterwegs, gerne ein unsichtbarer Gast, der viel lieber vergessen geht. Gerade deshalb braucht es für seine Reportagen mehr als ein paar kurze Tage, sondern ein paar Wochen, um beim Beobachteten vergessen zu gehen.

In nicht allzu ferner Zukunft wird ein neuer Roman von Urs Mannhart erscheinen, ein Buch, das den Arbeitstitel «Rapacitanium» trägt, ein Metall, eine «seltene Erde», das ausgerechnet in den Tiefen des auslaufenden Thunersees gefunden wird.  Eine Geschichte, die in naher Zukunft spielen wird, von einem Mann, der seit vielen Jahren in Chinas Ameisenhaufen lebend in die zurückgebliebene Schweiz «heimkehrt». Ich bin mehr als gespannt, freue mich!

Wer seinen letzten Roman «Bergsteigen im Flachland» noch nicht gelesen hat, sollte dies nun, wo der Text längst von allen Plagiatsvorwürfen reingewaschen wurde, unbedingt nachholen. Ein Roman, von dem mit Recht behauptet wird, er wäre einer der besten, der in den vergangenen Jahren in der Schweiz geschrieben wurde. Der Roman birgt alles, um lange und hell zu leuchten. Und wenn es auch schon eine Weile her ist seit seinem Erscheinen 2014, trifft dieser Roman durch Aktualität, Brisanz und unverblümter Offenheit. So entsteht bei der Lektüre nicht nur Begeisterung, sondern ebenso grosses Erstaunen. Da schrieb jemand tief betroffen von der Ungerechtigkeit, ohne platt und plakativ zu werden, mit erstaunlich viel Hintergrundwissen, so fundiert und bestechend, sec_mannhart_bergsteigen_big[1]dass ich als Leser dauernd nachfragen möchte, wie genau das Erzählte die Wahrheit trifft. Urs Mannhart erzählt vom Reporter Thomas Steinhövel, der als Berichterstatter die Orte bereist, in denen Geschichte geschrieben wird und dabei immer mehr zum ‹Bergsteiger im Flachland› wird, in einer Zeitungswelt, die dem Internet immer näher ist als der Realität. Urs Mannhart erzählt von den Schlachten unserer Zeit, den Menschen und dem Verschwinden einer Welt im Balkan, dem Leiden in den Erdbeerplantagen Spaniens, der Suche nach Gerechtigkeit in den Büros des Den Haager Gerichtshofs. Ein starker Roman, ein Denkmal für Thomas Brunnsteiner, jenen Reporter, der Urs Mannharts Roman mit unsinnigen Plagiatsvorwürfen für Monate blockierte. Ein finanzielles Desaster für Autor und Verlag.

Mannhart, geboren 1975, der als Velokurier, Nachtwächter und Journalist gearbeitet hat, gehört mit Christoph Simon und Lorenz Langenegger zu den Mitgliedern der Literaturgruppe «dieAutören». Im Bilgerverlag erschien 2004 der Roman «Luchs» und 2006 «Die Anomalie des geomagnetischen Feldes südöstlich von Domodossola». Als Reporter berichtet Urs Mannhart aus Ungarn, Serbien, Kosovo, Rumänien, Russland, Weissrussland, der Ukraine und zuletzt aus China.

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