«Drachenschuppen, Wolfsgebeiss, Hexengift und Vollgeschiss aus dem Bauch des Salzmeerhais, Schierlingswurzel dunkelweiss, von dem Lästerjud die Leber; Ziegengalle; Blütengeber, die man von den Bäumen riss, als der Mond in Finsternis, Türkennas, Tartarengrind und den Finger von dem Kind, das erwürgt wird bei Geburt von ner Frau, die strassenhurt – all das macht den Kessel fein, und mit Tiger-Innerein wird die Suppe bald fertig sein.»
Zwar war nicht Mitternacht und man traf sich auch nicht im Pilzkreis im Hätterenwald. Aber was am späten Nachmittag in der Militärkantine St. Gallen rund um den Schriftsteller Christoph Keller und seinen neuen Roman «Das Steinauge & Galapagos» (Sammlung Isele) über die Bühne ging, war derart gestopft mit künstlerischen Leckerbissen von unterschiedlichem Giftgehalt, dass das Gemisch durchaus an einen wilden Tanz um die Kunst erinnerte. Christoph Kellers Gäste waren die Musiker Zelda Umur und Daniel Schnyder, die Schriftsteller Jan Heller Levi, Rebecca C. Schnyder, Heinrich Kuhn, Florian Vetsch und Peter Weber, der Verleger Parantrap Chakraborty und die Künstler Marlies Pekarek und Roman Signer.
In Christoph Kellers Roman kämpft Philip Gundolf mit der latenten Mitschuld am frühen Tod seines Schulfreundes Stieglitz. Gundolf, der erfolglose Schauspieler, quartiert sich einen Sommer lang im Elternhaus seines Freundes ein, um der Frage nachzugehen, ob er am Ende gar nicht sein eigens Leben, sondern das seines verstorbenen Freundes gelebt hat.
Die Tatsache, dass der Roman aus dem Erinnerungsbuch «Der beste Tänzer» nicht mehr bei S. Fischer Platz fand, mag darin begründet sein, dass Christoph Keller nicht daran interessiert ist, einfache Bücher zu schreiben. Wem Christoph Kellers Roman gefallen soll, muss sich einlassen, muss bereit sein, von der wilden Suppe zu kosten!
Ein herrlicher Vorabend. Während draussen der Regen trommelte, der Wind die Fenster quietschen liess, führte Eva Bachmann gekonnt und überaus freundschaftlich durch den Kulturmix: Rebecca C. Schnyder, junge St. Galler Schriftstellerin las aus ihrem ersten Roman «Alles ist besser in der Nacht» (Dörlemann), böse Stücke, Texte wie schwere Motorräder mit Auspuffen, die knallen, Stücke aus ihrem Roman über eine junge Frau, die mit allem Tun schmerzen will, selbst mit ihren verkorksten Liebeserklärungen.
Heinrich Kuhn, ein St. Galler Literatur-Urgestein, der zusammen mit Christoph Keller etliche Romane schrieb, las Geschichten aus seinem wieder mit Christoph Keller veröffentlichten Erzählband «Alles Übrige ergibt sich von selbst» um die beiden Stadtflanierer Maag und Minetti. Witzige, hintersinnige Texte, die mit Sprache und Möglichkeiten spielen; über den Arzt Dr. Guillotine, ein Taubenexperiment und die Möglichkeit, dass Dr. Röntgen auch Dr. Wolgensinger hätte heissen können.
Florian Vetsch, Lyriker, Herausgeber und Übersetzer rezitierte messerscharfe Gedichte, Lyrik, die weh tun kann, weil sie trifft und betroffen macht, die Weltgeschehen spiegelt, Zeuge ist für Literatur, die sich einmischt, unbequem, mit der scharf geschossen wird, weit weg vom lieblichen Schmeicheln.
Und Peter Weber, nicht vergessen, auch wenn schon lange nichts mehr auf der grossen Bühne erschien, bewies mit seinen Texten, warum es sich weiterhin lohnt, geduldig auf ein neues Buch von ihm zu warten, auf Sprache, die sich mit Peter Webers Wucht hoffentlich nicht in allzu ferner Zukunft auf mich Neugierigen wartet. Peter Weber ist nicht nur Textschöpfer, sondern Wortbildner. Da wabbert Hochliteratur! Und dabei waren seine Kostproben in Maultrommelkunst wie Telegramme, Signalreihen aus jener fernen, fremden Welt, in der Weber zum Medium wird.
Man möge mir verzeihen, wenn ich nicht allen in Aktion Getretenen gerecht werde. Aber ich war Zeuge eines Kunst-Sommerfests der Superlative.