Brugger Literaturtage 2016: Ursula Fricker «Lügen von gestern und heute», dtv

logogebilde16Die Brugger Literaturtage sind besondere Tage, besondere Literaturtage! Wo werden Bücherfreunde wirklich eingeladen? In Brugg! Dort lässt man seine Gäste höchstens für die Räucherwurst mit Kartoffelsalat anstehen, aber nicht für des Fest im Literaturstädtchen Brugg. Die Stadt gönnt sich den Luxus eines stadteigenen Bücherfests, organisiert durch die Vereine Salzhaus und Odeon.

Ganz im Gegensatz zu vielen anderen, viel grösseren Kulturstädten, in denen ehrenamtlich arbeitende Vereine bei den Vorbereitungen zu einem Literaturfestival um jeden Franken betteln müssen! Peinlich dann, wenn sich solche Städte gar Buchstadt nennen. So verwundert es nicht, dass Brugg im Licht dieses Festivals leuchtet, das man mit viel Selbstbewusstsein und Tradition jedes Jahr im Wechsel mit der Partnerstadt Rottweil zum Blühen bringt, seit über 30 Jahren!

Neben Dana Grigorcea, Jonas Lüscher, Franz Dodel, Vera Schindler-Wunderlich, Reinhard Jirgl, Inka Parei, Andrei Mihailescu und Teresa Präauer war auch die in Berlin lebende Schaffhauserin Ursula Fricker mit ihrem Roman «Lügen von gestern und heute» (32. Literaturblatt!) Gast in Brugg. In ihrem vierten Roman, dem ersten, der sowohl in seiner Thematik wie in seinen Perspektiven weit über img_0065-1die bisher erschienen Romane hinausgeht, sind es Brüche, die die Autorin miteinander verwebt. Jener von von der jungen Isa, die mit der Familie bricht, getrieben nun endlich mit ihrem Leben Wirkung zu erzeugen. Jener von Beda, die mit ihrer Flucht aus dem Kaukasus mit ihrer Vergangenheit brach und im «neuen» Leben, in der neuen Stadt, im neuen Land wieder zum Abbrechen gezwungen wird; von ihrer Liebe, von ihrem wirklichen Selbst. Und jener von Innensenator Otten, der all die Brüche in seiner Vergangenheit spürt und jenen als Politiker, Vater und Ehemann, jenen, der ihn mit einem Mal einsam werden lässt. Ursula Fricker versteht es, viel Nähe zu den Protagonisten zu erzeugen, auch wenn der Eindruck aufkommen kann, die Autorin hege nicht gleichmässig Sympathien für jeden ihrer Protagonisten. Warum sollte sie auch! Beda verkörpert Wahrhaftigkeit, Otten die guten Seiten hinter allen Fassade, und Isa all jene, die mit grossen Idealen die Selbstreflexion, den Zweifel verlieren. «Lügen» im Titel, weil sie nicht einfach bloss schlecht sind. Fast jeder braucht sie, um sich aufrecht im Leben halten zu können.

5286Ursula Fricker, geboren 1965 in Schaffhausen. Sie lebt heute in der Nähe von Berlin. Tätig in der Theaterpädagogik und Sozialarbeit, arbeitete als freie Journalistin, u.a. für die SZ am Wochenende und den Freitag.
2004 Einzelwerkpreis der Schweizerischen Schillerstiftung, 2012 nominiert für den Schweizer Buchpreis, u.a. «Das letzte Bild» (2009), «Ausser sich» (2012), «Lügen von gestern und heute» (2016).

Ursula Fricker liest an der Schaffhauser Buchwoche!