Mit der neuen Leitung der BuchBasel hat sich das Festival in seiner Öffnung in jene Richtung weiter entwickelt, die in den Jahren zuvor einen Anfang machte. Eine Öffnung, die nicht heuer nur mehr, sondern auch jüngeres und junges Publikum anzog. Aber die BuchBasel war auch ein Festival der Gegensätze.
Hier Lesungen, wie es sie immer gab, da stumme BesucherInnen ohne AutorIn mit VAR-Brillen im Gesicht. Hier höfliches Gegenüber, dort laut und auch einmal schrill. Die eine Lesung wird zum Happening mit Glitzer und Farben, die andere gibt sich getragen, ganz der Tradition verbunden. Vielfalt war Programm. Zu hoffen ist nur, dass sich die Atmosphären mischen.
Aus den über 70 Veranstaltungen zwei:
Juri Andruchowytsch ist neben Serhij Zhadan eine der ganz wichtigen Stimmen für die Ukraine. Nicht nur in ihrem Schreiben, sondern auch deshalb, weil wie bei vielen SchriftstellerInnen dieses gebeutelten Landes fast alles, wonach sie gefragt werden, zum politischen Statement wird. Dass die BuchBasel mit Juri Andruchowytsch, der Historikerin Olha Martynyuk und dem Historiker Frithjof Benjamin Schenk ExponentInnen auf die Bühne bringt, die neben persönlicher Betroffenheit auch Kompetenz und Prägnanz in Diskussionen bringen, tut einer solchen Veranstaltung gut, wo es doch schwierig ist, den Krieg in der Ukraine nicht zum Thema zu machen.
Juri Andruchowytsch unterbrach für den Besuch an der BuchBasel seine Lesereise in der Ukraine, eine Lesereise, die ihn auch in Städte bringt, die unter russischem Beschuss liegen. Eine so ganz andere Lesereise wie eine vergleichbare in der Schweiz. Die Menschen in der Ukraine dürstet es in diesen Zeiten nach Kultur, nach Literatur. Juri Andruchowytsch erzählt, es gäbe SchriftstellerInnen an beiden Fronten, dort, wo geschossen wird und dort, wo eine ganze Nation nach Worten sucht. Juri Andruchowytsch las auch in Charkiw, in vollen Luftschutzbunkern, unterbrochen vom Luftalarm, aber immer in der Hoffnung, alles sei ein kleiner Schritt zur Normalität.
Zusammen mit Verlegern bringen SchriftstellerInnen Bücher an die Front, eine Front, die längst keine Linie mehr ist, sondern das Land in eine einzige Front verwandelt, immer und überall bedroht von russischer Willkür. Kein Strom, kein Frischwasser, kaum mehr medizinische Versorgung, Hunger und Kälte. Aber Bücher. Bücher werden zu einem Fundament ukrainischen Selbstbewusstseins. Ein Selbstbewusstsein, das sich wie die weissen Flecken im westlichen Bewusstseins um die Geschichte dieses Landes, mit Stoff füllt. Eine westliche Sicht auf Geschichte, die über Jahrzehnte eine sowjetische und postsowjetische Perspektive beschränkte.
Nicht erst seit Februar 2022 steht die Ukraine im Krieg. Aber seit dem 24. Februar und den Geschehnissen danach reibt sich der Westen die Augen. Seit bei den Protesten 2014 auf dem Maidan in Kiew scharf geschossen wurde, seit der Annexion des Donbas und der Halbinsel Krim herrscht ein Krieg, der von Westeuropa fast ein Jahrzehnt meisterlich ignoriert wurde. Ein Krieg, der in den letzten acht Jahren das ukrainische Selbstbewusstsein nur stärkte.
Juri Andruchowytsch beteuert, dass im Zentrum aller Kräfte in der Ukraine die Freiheit steht, eine Freiheit, die es in seinem Land nie gab, aber schon lange als Idee, Hoffnung und Ziel. Ein Besteben, das im krassen Gegensatz zum russischen Aggressor steht. Die Ukraine führe einen Krieg für die Zukunft einer Demokratie, Russland einen Zerstörungsfeldzug für eine Verteidigung eines steuernden Imperiums, der Verteidigung einer toten Vergangenheit.
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Es gab die grossen Namen; Sibylle Berg, Tsitsi Dangarembga, Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Carolin Emcke, Thomas Hürlimann, Donna Leon, Kim de l’Horizon und andere mehr.
Aber es waren auch die kleineren Veranstaltungen, die bezaubern konnten. Wie jene mit Gabrielle Alioth, die als Schweizerin seit fast 40 Jahren im County Louth an der Ostküste, nördlich von Dublin lebt und schreibt. In ihrem bei Caracol erschienenen zweisprachigen Text- und Bildband „Seapoint – Strand“ erzählt die Autorin von ihrem Leben an jenem Stand in Irland, eine zärtliche Reflexion in ein Hinein und in die Weite hinaus.
Gabrielle Alioth spaziert jeden Morgen dem Meer entlang, zwischen Himmel und Erde, zwischen Meer und Sand. Sie schreibt und fotografiert Bilder weit über Betrachtungen hinaus. Eingetaucht in die Sagen und Geschichten jenes Landes, das eigene Leben, das langsame Eintauchen in eine Kultur. Alltägliches verbindet sich mit Geschichte und Geschichten, dem Angeschwemmten, Hergetragenen, Liegengelassenen. Texte zwischen Betrachtungen und Nacherzähltem, manchmal lyrisch, manchmal episodisch.
Irische Sagen, die wie alle Sagen stark mit Orten verknüpft sind, erzählen wie die Schriftstellerin Geschichten, die klären und erklären wollen. Gabrielle Alioth klärt eine Landschaft, ohne ihre Geheimnisse entschlüsseln zu wollen. Das Meer sei ein geduldiges Gegenüber, ein unendliches Füllhorn, das die Geschichten nicht wie in den Bergen als Echo zurückwirft.
Möge das Echo dieser In Literatur getauchten Tage noch lange nachhallen!
Zum Titelbild: «Die offizielle Erinnerungspolitik und das mahnende «Nie wieder», das im Rückblick auf die Zeit des Nationalsozialismus aufgerufen wird, werden mehr und mehr zu inhaltsleeren Ritualen. Mit Texten von Überlebenden gaben Carolin Emcke, Lena Gorelik und Maryam Zaree denjenigen eine Stimme, die Lager erlebt und beschrieben haben.»
Illustrationen © Charlotte Walker