Ich weiss, Gedichte soll man immer wieder lesen. Die neuen Gedichte von Jane Wels rufen einem förmlich, wenn auch sanft und ganz leise. Als würde mir die Autorin zuflüstern. Auch der zweite Band der Lyrikerin überzeugt durch seine Subtilität, seine Empathie und seine Prägnanz.
Ich las die Gedichte der Lyrikerin noch einmal am Rhein, auf einer Bank unter Plantanen, mit Sicht aufs Riet an der gegenüberliegenden Seite des breiten Wassers. Die Sonne wärmte meinen Rücken, die Gedichte meine Seele. Die Sprache streichelte meinen Bauch.
Sag’ mir,
was du willst,
meine linke Hand
wird es schreiben.
Sie legt dein Staunen
ins Regengrüne,
verzapft sich
in Erinnerungen
aus verschlucktem Hall.
Jeder Buchstabe
schmeckt nach dir.

Viele ihrer Gedichte führen mich als Leser in einen Dialog, einen Dialog mit ihr, einen Dialog mit mir. Ich fühle mich ganz direkt angesprochen, ohne dass sich die Dichterin aufzudrängen versucht. Mit ihrem Schreiben eröffnet Jane Wels unsere gemeinsame Welt, stellt sich dazwischen, als würde sie sich neben mein Unbewusstes gesellen. Vielleicht auch darum der Titel ihres neuen Buches; „Das Es reiten“. Sie stellt sich jenen Fragen, die nie endgültig beantwortet sein wollen, die nach Offenheit dürsten und Perspektiven in die Weite suchen.
Gleich einem wandernden Fisch
in die Vergangenheit springen;
das Gedächtnis ist ein Geruch,
ein Butterbrot,
eine Achselhöhle,
ein Blick.
Augenblicke, ein Duft, Momente und das Empfinden, das aufblitzt. Was bei mir gleich wieder im Vergessen versinken würde, dem gibt Jane Wels sprachliche Kontur. Sie zeichnet mit feinen Strichen, was sich während des Lesens mit Farbe füllt.
Spüre ihr Gewicht,
fühle den verholzten Stiel,
bevor du ihn herausziehst
aus dem weichen Fleisch,
einen Krater in ihre Schale reißt
– Zerfetzen ist ein Geräusch -,
sie schälst,
ihr das Kerngehäuse herausschneidest,
sie vierteilst,
ihr Saft durch die Finger rinnt,
duftend, zartflüssig,
bis sie schließlich
auf deiner Zunge liegt,
die köstliche Charneux.
Es sind nicht die grossen Gesten. Dafür immer wieder das genaue Tun, das Bewusstsein im Genuss, einfaches Tun, das zu heiliger Handlung wird, selbst dann, wenn das Gedicht „nur“ den Verzehr einer Birne beschreibt. Jane Wels gibt dem Alltäglichen, dem, was sonst kaum je im Fokus steht, das man übersieht, ein Stück beinahe übernatürlicher Sinnlichkeit.
Morgen
tu ich so,
als sei ich Emil Sinclair,
bestelle einen Singapore Sling;
hänge den schwarzen Wald
an den Nagel
und lasse mich,
wie eine Wirbellose,
in deine Lagune treiben.
(Emil Sinclaire war ein Pseudonym von Hermann Hesse) Ein Lebensgefühl einer Frau, die weiss, wo die Anfänge und Enden ihrer Träume sind, die in sich zuhause ist, auch wenn sie sich auf dem Rücken ihrer Imagination treiben lassen kann. Ein Lebensgefühl, von dem ich mir gerne ein Stück abschneiden würde.
Jane Wels beschenkt mich mit ihren Gedichten!
Jane Wels, geboren 1955 in Mannheim, lebt im Nordschwarzwald. Sie studierte Entwicklungspsychologie, Pädagogik und Medienwissenschaften. Wels veröffentlichte in Literaturzeitschriften und in Online-Magazinen. Zuletzt erschien von ihr der Band «Schwankende Lupinen» (edition offenes feld, 2024).
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