Fleisch. Allein das Wort schmerzt. Den Vegetatier, die Veganerin, den Magersüchtigen, die Übergewichtige, den Enthaltsamen, die Yogalehrerin. Anna und Max, durch aus einmal mit viel Sympathie verbunden, vor Jahrzehnten zusammen in die Schule gegangen, sind auch über 40 noch ein Paar. Ein Paar? Max ist «Begleitfreund»! Anna mit Bürojob im Kulturbetrieb, Max Lehrer.
Eine Beziehung als Zweckgemeinschaft, totgelaufen, ausgeluscht. Beide an dem Punkt, an dem das Altern und alles, was sicht- und unsichtbar dazugehört, nicht mehr zu leugnen ist. Zwei irgendwie lebensmüde Grossstadtjunkies, deren grösstes Problem die eigene, aufgeblasene Existenz ist, die Sorge um den nächsten Augenblick, vor allem darum, weil sie mit fortschreitendem Alter nicht weniger oft in den Spiegel schauen. Fleisch. Während Annas Kurven unkontrolliert zu schwellen drohen, isst sie mit ihrem schwulen Freund Fleisch, in ausgesuchten Lokalen, mit Verstand! Und nun, über der Mitte des Lebens, mit der Frage, ob es das nun gewesen sei, bricht sie noch einmal aus; die Lust, wirklich zu leben, Max zu entlassen. Während Anna sich in die junge Lilly verliebt, die in einer Bar serviert, Anna Stunden dort verbringt, um von ihr bedient zu werden, beschliesst der entsorgte Max, nicht mehr auf das zu verzichten, von dem es bisher nur in Massen gab. Auch Fleisch. Er lernt Charly kennen, eigentlich Sue, die ausgerechnet mit Lilly in der gleichen WG wohnt. Die Lage spitzt sich zu.
Simone Meier hat ein rotzfreches Buch geschrieben, dessen Titel in vielerlei Hinsicht zum Roman passt. «Fleisch», der zweite Roman von Simone Meier, ist ein «Sittenroman» – beschreibt die Ängste auf sich selbst Losgelassener. Eine Welt, in der Beruf und Familie längst nicht mehr die Stützpfeiler für Glück und Zufriedenheit sind, wo einmal unumstösslich scheinende Strukturen wie «Familie» aufbrechen und längst bröckeln. Wie bei Lillys Bruder Jonas, den die Eltern der Schwester vor die Tür setzen, weil sie nicht mehr die Kraft haben, dem Vierzehnjährigen die Stirn zu bieten, um nicht endgültig vom Räderwerk des Dorfklatschs überfahren zu werden.
«Fleisch» ist ein schamloses Buch, geschliffen geschrieben, von einer Autorin, die ihrem Roman ordentlich Fett einschmiert. Ein Buch wie «Foie gras» – würzig, dekadent und nicht wirklich gesund.
Simone Meier, geboren 1970 in Lausanne, ist Autorin und Journalistin – früher bei der «Wochenzeitung» und beim «Tages-Anzeiger», heute bei «watson» – in Zürich. Sie hat diverse Preise und Stipendien gewonnen. Ihr Romanerstling «Mein Lieb, mein Lieb, mein Leben» erschien im Jahr 2000. Simone Meier lebt glücklich von Liebe, Fleisch und Fernsehen. Und vom Schreiben.
Bild: Sandra Kottonau