Es war keine Überraschung und ist die richtige Wahl. Als Christian Haller auf die Bühne im Foyer des Stadttheaters Basel auf die Bühne gebeten wurde und sich FotografInnen und erste GratulantInnen positionierten, darunter Ständerätin Eva Herzog, trat ein tief gerührter Mann ins Rampenlicht und dankte für das «Sahnehäubchen» auf einer grossen Arbeit.
Hier wiedergegeben die Laudatio von Michael Luisier, SRF Literaturredaktor und seit diesem Jahr Mitglied der Jury des Schweizer Buchpreises:
Die Geschichte ist bekannt. Ein Mann geht durch Nacht und Nebel. Betritt einen Lichtkreis, verlässt ihn wieder und taucht im nächsten Lichtkreis wieder auf. Ein anderer Mann beobachtet ihn dabei. Und weil der sich gerade mit physikalischen Fragen auseinandersetzt, mit Atommodellen und der Beschaffenheit des Lichts, kommt ihm der Gedanke, respektive die entscheidende Frage in den Sinn: Woher weiss man, dass ein Mensch, der soeben einen Lichtkreis verlassen hat und weitergeht, im nächsten Lichtkreis wieder auftaucht? Und nicht einfach verschwindet?
Diese Anekdote erzählt die Geschichte hinter der Entdeckung der Quantenmechanik durch den Physiker Werner Heisenberg. Sie ist der Ausgangspunkt einer Novelle, die sehr bald zu einer ähnlich dringenden Frage führt, nämlich: Wie geht man generell mit Dingen um, die stattfinden, obwohl sie eigentlich nicht stattfinden sollten? Und – hier kommt die Literatur ins Spiel – wie beschreibt man die?
Wie sagt man Unsagbares? Wie beschreibt man – literarisch – nicht zu Beschreibendes? Das sind die zentralen Fragen des Texts.
Christian Haller, Schriftsteller und selbst Naturwissenschaftler, hat sich dieser literarischsten aller Aufgabe gestellt. Haller hat sich als Literat für die Novelle als Erzählform entschieden, weil es sich dabei grundsätzlich um die Vermittlung einer «sich ereigneten unerhörten Begebenheit» handelt, wie es bei Goethe heisst.
Der Naturwissenschaftler, der sehr wohl weiss, dass die Naturwissenschaft nicht alles erklären kann, hat sich für ein nicht materielles Phänomen in einer materiellen Welt entschieden. Im Text ist von «Durchbrüchen» die Rede, erlebt durch die zweite Figur dieses Textes, den Beobachteten, dessen Weg genauso beschrieben wird wie der des Beobachters. An diesem zeigt Christian Haller diese «Durchbrüche», die man auch spirituell deuten kann, als Ausdruck von Rausch, als Zustände welcher Art auch immer. Oder vielleicht auch ganz anders, wer weiss. Es selbst sagt es nicht.
Meisterhaft ist es Christian Haller gelungen, sich dabei aufs Wesentliche zu beschränken: Zwei miteinander verschränkte Geschichten im Wechsel erzählt, wobei nicht ein Wort zu viel ist, nicht ein Moment aus blossem Zufall entstanden scheint. Alles ist so einfach, schön und klar geschaffen, als könnte man Unsagbares tatsächlich nur auf diese Weise sagen.
Ja. Die Novelle «Sich lichtende Nebel» von Christian Haller ist Klarheit, Schönheit und im besten Sinne auch Einfachheit. Drei Argumente für eine Verleihung des Schweizer Buchpreis 2023. Christian Haller, wir gratulieren Ihnen dazu.
Rezension von «Sich lichtende Nebel» auf literaturblatt.ch
Beitragsbild © Gallus Frei