Was passiert, wenn man sich entschliesst, aus dem Einerlei des Alltags auszutreten, wenn man dem Hamsterrad entrinnen will? Und was geschieht, wenn man dies mit einer gehörigen Portion Subversion tut? Wie viel Korrektur erträgt der Lauf der Dinge?
Ralph Schröder hat ein Buch geschrieben, das mit seinen Fragestellungen provozieren kann. Korrekturen unseres Tuns können unverhoffte Konsequenzen nach sich ziehen, ungewollte Richtungen und Dimensionen annehmen. Und scheinbare Wahrheit kann sich als Lüge entpuppen, Lügen als Wahrheit. «Die Wahrheit einer Geschichte ist immer die Geschichte dieser Wahrheit.»
Ralph Schröders «Held» Armin Schweighauser ist Korrektor bei einer grossen Basler Tageszeitung. Bedroht von strukturellen Veränderungen und wirtschaftlichen Anpassungen im Verlag und dem lähmenden Gefühl von Trott und Ereignislosigkeit entschliesst sich Schweighauser, erst vorsichtig und zögerlich, dann immer dreister, Nachrichten kurz vor dem Druck als Korrektor zu manipulieren. Erstaunt und frustriert darüber, wie ergebnislos seine Eingriffe bleiben, stachelt ihn der wiedergefundene Nervenkitzel zu immer wagemutigeren «Korrekturen der Wahrheit» an. Und nachdem ihm durch Zufall von aussen Informationen zugetragen werden, die alles im Verlagshaus ändern sollen, wird Schweifhausers persönliches Experiment zu vermeintlichen Befreiungsschlag einer in die Irre geführten Öffentlichkeit. Die Geschehnisse überstürzen sich. Erst recht, als ein Todesfall die Fallrichtung der Geschehnisse unkorrigierbar macht.
Ralph Schröder schickt seinen Protagonisten auf eine Achterbahn, auf der sich der arme Held irgendwann nicht mehr traut auszusteigen. Schweighauser wird vom in Zwängen eingesperrten Schwerenöter zum ungewollten Katalysator eines unkontrollierbaren Sturms, der plötzlich weit über sein Leben hinaus Konsequenzen erzwingt. Ein Spiessbürger, ein Resignierter, dessen Kruste aufbricht, dessen Befreiung Kräfte in Bewegung bringt, die unkontrollier- und unkorrigierbar sind. Ein kleiner, unbedeutender Korrektor, dessen Entschluss, die Welt ein klein wenig an der Nase herumzuführen, wird zum selbstzerstörerischen Torpedo.
Ralph Schröder spinnt aus dem Wunsch vieler, ihrem eingezwängten Leben eine auffrischende Korrektur geben zu können, mit der Frage «Was wäre wenn?» einen literarischen Strudel, einen Sog mit den Mitteln eines Thrillers.
Drei Fragen an Ralph Schröder:
Die Begriffe Wahrheit und Manipulation streiten sich ständig mit Historie oder Journalismus. Sie waren lange als Korrektor und Redaktor tätig. Ist man sich dessen während des Tuns im Verlag bewusst? Oder war der Schritt, dies zum Thema ihres ersten Romans zu machen, erst aus der Distanz möglich?
Die Ursprungsidee für den Roman entstand nicht aus einer konkreten Erfahrung meiner beruflichen Arbeit. Die Wirkkraft von Fiktionalität hat mich schon immer fasziniert. Das Thema des Buches scheint mir deswegen mehr im Spannungsfeld von Wahrheit und Fiktionalität zu stehen. Natürlich hat mir meine Erfahrung als ehemaliger Korrektor und Redaktor in die Hände gespielt. Das Experiment des Protagonisten hat mich als Idee fasziniert und nicht mehr losgelassen. Was geschieht, wenn einer hingeht und die medial vermittelten Fakten verdreht, subtil, ja auf subversive Weise.. Würden wir das merken? Woher stammt unser Vertrauen in die medial vermittelte Wahrheit oder in das geschriebene Wort generell? Ein Thema, das ja fast täglich in der Presse auftaucht (Lügenpresse etc.). Damit zu spielen und allenfalls eine Reflexion anzuregen, war ein Motiv (das sich aber auch erst während des Schreibens herauskristallisierte). Das ist die eine Seite des Buches. Die andere, die kriminalistische, hat einen anderen Ursprung: Unschuldig schuldig werden, sich in einen Schuldzusammenhang verstricken, aus dem man sich nicht mehr befreien kann und die «Wahrheit» unbeweisbar, auf der Strecke bleibt… Dass sich diese beiden thematischen Stränge zusammenbringen lassen, hat mich dann beim Schreiben selbst überrascht, aber ungemein gefreut. Ich glaube, das ist vielleicht der besondere Reiz des Buches, dass hier der Begriff von Wahrheit (nicht philosophisch, aber literarisch) auf verschiedenen Ebenen thematisiert und bespielt wird. Aber das ist jetzt wirklich aus grosser Distanz und mit zeitlichem Abstand zur Zeit des Schreibens an diesem Text gesagt. Und eigentlich sollte man sich als Autor vor Selbstinterpretationen hüten und dem Leser überlassen.
Ihr erster Roman fand nicht den Weg in einen traditionellen Verlag und erscheint im «Book on Demond», also auf Abruf, ohne kalkulierte Auflage. Gab es keinen Verlag, der sich ihr Buch zu verlegen traute?
Ich habe das Manuskript respektive Leseproben rund 40 bekannten deutschsprachigen Verlagen über den klassischen Weg (Manuskripteinsendung) angeboten. Ein Verlag hat sich anfänglich sehr konkret dafür interessiert. Ich war fast ein Jahr mit der Lektorin in Kontakt. Sie konnte sich aber am Ende nicht dazu durchringen, das Buch ins Programm zu nehmen. Alle übrigen haben mit mehr oder weniger vorformulierten Standardabsagen geantwortet. In vielen Verlagen fehlt schlicht die Zeit und das Personal, um die inflationär eingesandten Manuskripte seriös zu sichten. Von der Lektorin eines Verlages weiss ich, dass allein bei ihrem Kleinverlag täglich 2-3 Manuskripte/Leseproben eintreffen…. Wer soll das bewältigen? Diese eine Lektorin liest Manuskripte von Neuautoren nur in ihrer Freizeit, sonst fehlt die Zeit…?
Sie siedeln als in Basel wohnhafter Autor ihren Roman in Basel an, an einem Ort, wo, zumindest aus meiner Warte, die Zeitungslandschaft eh schon angespannt genug ist. Giessen sie Öl ins Feuer?
Die Zeitungslandschaft ist ganz generell angespannt. In Basel trifft dies seit der Übernahme der BaZ durch Blocher/Tettamanti und Somm sicher besonders zu. Allerdings könnte der Roman, was seine Hauptthemen betrifft, in jeder anderen Stadt spielen. Dass ich den Schauplatz Basel gewählt habe, hängt mit der persönlichen Vertrautheit der lokalen Orte zusammen und hat beim Schreiben geholfen, mehr aber auch nicht. Als ich mit dem Roman begonnen habe – das liegt doch schon einige Jahre zurück – war die angesprochene Thematik noch gar nicht so brisant. Dass sich die Sache dann real so entwickelt hat, dass man bei der Lektüre denkt, ich hätte auf diese Entwicklung Bezug genommen, ist eher zufällig, entbehrt aber sicher nicht einer gewissen Ironie, die dem Buch aber nicht schadet, im Gegenteil. Und klar gibt es da einige Figuren und Konstellationen, die möglicherweise den realen nahe kommen. Das hat aber mehr mit der inneren Logik der gegenwärtigen Entwicklung in der Zeitungslandschaft zu tun und dem ökonomischen Druck, der in der Medienbranche herrscht. Der Roman geht viel weniger auf die realen, d.h. faktischen Verhältnisse ein, als man vielleicht denkt. Ich kenne die inneren Verhältnisse bei der BaZ bspw. viel zu wenig, auch wenn man viel Unschönes hört. Öl ins Feuer zu giessen würde bedeuten, ich hätte mit diesem Roman ganz bewusst auf die realen Verhältnisse in Basel Bezug nehmen wollen. Dem ist aber nicht so. Einmal ganz abgesehen davon, dass der Roman zuerst mal wahrgenommen werden müsste, wahrgenommen im Sinn von „gelesen werden“. Sollte das Buch in der Tat als Brandbeschleuniger wahrgenommen werden, würde mich das wundern. Wenn dann wohl eher als ironischer Kommentar zu einer gegenwärtigen Entwicklung und Situation. Aber wie gesagt: Der Roman ist kein Reflex auf die realen Verhältnisse, wenn dann eher eine Ermunterung zur Auseinandersetzung mit den Bedingungen von glaubwürdig vermittelter Wahrheit und deren Fragilität.
Ralph Schröder, 1961 in Biel geboren, studierte Philosophie und Germanistik in Basel. Nach Tätigkeiten u.a. als Lehrer, Korrektor, Redaktor und Verlagsleiter arbeitet er heute als Kommunikationsspezialist für das Kantonsspital Aarau. Ralph Schröder lebt in Basel. «Schweighausers Korrekturen» ist sein erster Roman.