An 5 Tagen 180 Veranstaltungen rund um das Buch in Zürich, Winterthur und Umgebung. Klar, man sah einige Fahnen, Plakate – aber liest Zürich? Sieht man an diesen Tagen mehr Menschen in Zürich, die mit Buch oder eBook sitzen, stehen oder liegen und sich wegtragen lassen?
Liest Zürich, wenn ein Autor von Wien nach Winterthur reist, um aus seinem neuen Roman vorzulesen und es sitzt ein knappes Dutzend da und hört zu? Liest Zürich, wenn Christian Kracht im neuen Auditorium des Landesmuseums liest und der grosse Saal bis auf den letzten Platz proppenvoll ist? Sind das Leserinnen und Leser oder bloss solche, die eine Nase voll von dem mitbekommen wollen, was in den Medien rund um Christian Kracht breitgeschlagen wird? Spüre ich da leise Enttäuschung, wenn Christian Kracht bloss liest, erst noch lange und sich schlussendlich freundlich vor dem Publikum verbeugend, so gar nicht spektakulär? Nichts und niemanden niederreisst? Nicht der kleinste Disput, nachdem man ihn in der Kritik aus lauter Irritation und Verunsicherung entweder in den Himmel lobte oder als Machwerk zerriss.
Liest Zürich? Wahrscheinlich ebenso selten wie der Rest der Schweiz. Umso löblicher, dass «Zürich liest» so viele potente Partner mit ins Boot holen konnte, die ein solches Festival mit so vielen Veranstaltungen, Veranstaltungsorten und Akteuren überhaupt durchführen konnte. Umso schöner, dass man sich nicht entmutigen lässt und das Tram weiterhin mit Autoren und Publikum durch die Stadt fahren lässt, das Schiff auf dem See, Sofalesungen veranstaltet und grosse Namen der Literatur einlädt, wie den Niederländischen Erfolgsautor Arnon Grünberg, den Georg-Büchner-Preisträger Wilhelm Genazino oder die indisch-französische Autorin Shumona Sinha, die mit dem Roman «Erschlagt die Armen» nicht nur literarisch für Schlagzeilen sorgte. Und eben Christian Kracht.
Christian Kracht, 1966 in der Schweiz geboren und schon mit seinen Romanen «Faserland», «1979», «Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten» und «Imperium» in 30 Sprachen übersetzt und von der Kritik heftig besprochen, veröffentlichte diesen Herbst seinen neuen Roman «Die Toten». Ein Roman, der in den Jahren der Weimarer Republik spielt, wo der Schweizer Filmregisseur Emil Nägeli beauftragt wird, eine cineastische Gegenkraft, eine vereinte Achse zwischen Deutschland und Japan zu formieren gegen die beginnende Übermacht des boomenden Hollywood-Imperiums. Aber weil Christian Kracht Christian Kracht ist, geht es dem Autor in seiner Literatur nicht um den Transport einer Geschichte. Literatur soll Kunst sein, Kunstwerk. Bei jeder anderen Kunstgattung ist die mögliche Provokation mit eingeschlossen. Und ausgerechnet in der Literatur gibt man sich dupiert, ja fast beleidigt, wenn man als Leser und erst recht als Kititker verunsichert wird. Dabei sind Autoren wie Christian Kracht genau das, wonach es schreit; Autoren, die wagen, die verunsichern, irritieren, vielleicht sogar polarisieren. Und die Kritik ist irritiert. Irritiert von der Geschichte, weil sich Christian Kracht nicht um Konventionen und Gepflogenheiten zu kümmern scheint. Irritiert vom Ton, der sein Schreiben so eigen-artig macht. Irritiert, weil man vergeblich nach einer Message sucht, weil Verunsicherung zum Programm gehört. Irritiert, weil sich Christian Kracht auch schon nach seinem letzten Roman «Das Imperium» nicht um die kruden Behauptungen eines Spiegelberichts kümmerte, der seinem Schreiben einen Rechtsdreh andichten wollte.
Christian Kracht las fast 90 Minuten im unterkühlten Neubau des Landesmuseums, mit Mantel und Schal. Und es lauschten alle, weil jeder, der lauschte, spürte, dass da etwas Spezielles klingt.
Ich freue mich, wenn Zürich wieder liest, im Herbst 2017.