«Dein Herz ist dort, deine Füsse sind hier» – dieses Zitat trifft ein wichtiges Thema des Buches: Wo gehört man hin? Wie lebt es sich in der Fremde? Was zieht einen zurück in die Heimat? Und wie geht man mit dieser Situation um?
In Berlin begegnen sich bei einem Beinahe-Unfall zufällig Amal, eine auf Asyl wartendende Archäologie-Studentin aus dem Irak, und Clara, eine junge Ärztin aus Berlin. Diese Begegnung führt in den kommenden Wochen zu schüchternen Treffen, Gesprächen und einer beginnenden Freundschaft. Dem Leser wird das Leben von Amal im Irak sowie ihre Gründe für die Flucht auf eine sachliche, eindrucksvolle und trotzdem tiefgehende Weise nahe gebracht, die jedoch nie anklagend wirkt. Eher würdevoll und doch neutral.
Claras Leben zwischen der Berliner Klinik und ihrem Lebensgefährten Tarum, einem Architekten aus Indien, spiegelt die Zerrissenheit der jungen Frau wieder. Sie sucht im Umgang mit ihrem Partner die Balance zwischen Nähe, Distanz und Selbstverwirklichung. Tarum erhält die Chance, nach erfolgreichen Jahren in Deutschland, ein Projekt in der Nähe seiner Heimatstadt in Indien zu betreuen und stellt die Beziehung mit Clara auf die Probe.
Als Amals Grossmutter im Irak stirbt, fährt Clara an ihrer Stelle nach Bagdad und taucht in die bis dahin gehörte Geschichte ein.
Hannah Dübgen versteht es, die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven zu beschreiben, wodurch man als Leser immer wieder neu gefordert wird. Die Geschichte nimmt ihren Lauf und setzt sich aus der unterschiedlichen Sichtweise immer weiter fort. Die Sprache berührt und saugt einen auf in die Geschichte, die unterschiedlichen Kulturen und Gedanken. Alles ohne Anklage zur Flüchtlingsthematik, sondern mit Achtung und Respekt. Und dem Nachhall zum Nachdenken, zum Überlegen, zum neu sortieren und bewerten.
«Vielleicht soll man den Menschen einfach das Recht auf Ihre Geschichte lassen.»
Ein tolles berührendes Buch mit vielen unterschiedlichen Facetten und einem stimmigen Gesamtbild. Ich freue mich auf weitere Bücher von Hannah Dübgen.
Mirja Grajer, 4.11.2106
Hannah Dübgen wurde 1977 geboren. Sie studierte Philosophie, Literatur- und Musikwissenschaft in Oxford, Paris und Berlin. Sie arbeitete für Schauspiel und Musiktheater, und schrieb die Libretti mehrerer international erfolgreicher Opern. Ihr Debütroman «Strom», ausgezeichnet mit Preisen der Landeshauptstadt Düsseldorf und des Literaturfestivals von Chambéry, erschien 2013 bei dtv.