Friedrich Buchmayr / Felix Diergarten (Hg.) «Anton Bruckner & Sankt Florian – Wie alles begann», Müry Salzmann

Was wird aus einem 13-jährigen Lehrerssohn, wenn er aus Not vom elterlichen Schulhaus weg an einen Ort von Welt gelangt?
Ein ausserordentlich schön gestaltetes und reich bebildertes Buch beleuchtet den Beginn und die lebenslange tiefe Beziehung des grossen Komponisten zum Stift Sankt Florian bei Linz. 

Gastbeitrag von Urs Abt

«Es gilt, ein vermintes Feld von Zuschreibungen, Vorurteilen und Fehldeutungen der älteren Brucknerliteratur zu bereinigen» 

In neun Kapiteln von fünf international renommierten Fachleuten taucht die Leserschaft ein in die oberösterreichische Welt des beginnenden 19. Jahrhunderts. Einerseits in das einfache Leben einer Lehrerfamilie im Dorf, andererseits in den damals blühende Augustiner Stift Sankt Florian mit der grössten und berühmtesten Orgel der Donaumonarchie. Vater und Grossvater des Komponisten lebten und wirkten als Lehrer in Ansfelden. Ein Lehrer wohnte damals mit seiner Familie im Schulhaus, neben Pfarrhaus und Kirche gelegen, was auf die erwünschte Tätigkeit auch im Kirchendienst und an der Orgel hinwies.

Anton war das älteste von 11 Geschwistern, von denen fünf das Erwachsenenalter erreichten. Am 7. Juni 1837 starb Antons Vater an einer Lungenentzündung, die Mutter Theresia Bruckner geriet mit den fünf verbliebenen Kindern in grosse Not.

Glücklicherweise konnte eine Zwangsheirat der Witwe, damals oft üblich, um Pensions- und Fürsorgegeld zu sparen, verhindert werden. Der älteste Sohn Anton wurde nach einem Schreiben von Pfarrer Seebacher an den Propst Michael Arnet als Sängerknabe im Stift Sankt Florian angenommen. Aus der kleinen Lehrerwohnung kam Bruckner an einen Ort von Welt, ein sehr entscheidender Schritt in seinem Leben. Fleissig und talentiert konnte er sich als Sängerknabe, als Musiker, als Lehrer und später als fantastisch improvisierender Orgelspieler und Komponist entwickeln.

Friedrich Buchmayr / Felix Diergarten (Hg.) «Anton Bruckner & Sankt Florian – Wie alles begann», Müry Salzmann, 2024, 272 Seiten, CHF ca. 53.90, ISBN 978-3-99014-258-5

Begleitet von reichlich abgebildeten Handschriften, Zeugnissen und Fotografien entsteht ein wunderbar entstaubtes und ausführlich dokumentiertes Bild vom Werdegang des Meisters. Die Welt innerhalb des Stifts, das Leben als Organist und Lehrer in Linz und Wien und viele entscheidende Begegnungen werden lebendig geschildert und dargestellt. Wir erfahren, wie Anton Bruckner sich lebenslang eifrig, oft als Autodidakt, weiterbildete und seine Erfolge auch bestätigt haben will. Aus dem Lehrer-Komponisten wurde so ein selbstbewusster autonomer Künstler. Der wenig auf Äusserlichkeit gebende Musiker eckte oft an, ging aber trotz Widerständen und Krisen beharrlich seinen künstlerischen Weg.

«Liebe Frau Mutter! Recht schön danke ich Ihnen für das Schnupftuch, welches Sie mir schenkten. O! könnte ich auch Gutes Ihnen erweisen, wie so gern würde ichs! Aber recht fromm u. gehorsam zu seyn, das verspreche ich Ihnen recht aufrichtig, so wie täglich für Sie zu Gott zu bethen. Ihr gehorsamer Sohn Anton Bruckner. St.Florian am 2. Jänner 1838»

«Ich wünsche, dass meine irdischen Überresten einem Metallsarge beigesetzt werden, welche in der Gruft unter der Kirche des regulierten lateranischen Chorherrenstiftes St. Florian, und zwar unter der grossen Orgel frei hingestellt werden soll, ohne versenkt zu werden und habe mir hierzu die Zustimmung schon bei Lebzeiten seitens des hochwürdigsten Herrn Praelaten genannten Stiftes eingeholt.»

Diese zwei Beispiele, der Brief des 14jährigen an seine Mutter und das Testament von Anton Bruckner weisen auf die werdende Persönlichkeit und Autonomie Bruckners hin.

Erstmals werden in diesem Prachtband die Kindheit und die lebenslange Beziehung des Komponisten wissenschaftlich auf dem neuesten Stand dargestellt. Reichlich mit Fotos und Bildern ausgestattet können wir handschriftliche Zeugnisse, Briefe und Notenbeispiele und Porträts des Meisters und seiner Fördere betrachten. Die handschriftlichen Dokumente (die meisten aus dem Stiftsarchiv) sind in die aktuelle Schreibweise übersetzt und erläutert. Erste Werke, darunter ein Requiem, eine Missa solemnis und kleinere Chorwerke, werden in Wort und Bild aufgeführt.

Zusammen mit dem 2024 neu eingerichteten Bruckner Museum in Sankt Florian ermöglicht dieses vorzüglich gestaltete Buch einen modernen entmystifizierten Blick auf das Werden und die Herkunft Anton Bruckners und lässt seine einzigartige Musik noch besser verstehen und geniessen.

Den Autoren und Autorinnen ist es gelungen, die kulturelle Ausstrahlung von Sankt Florian einzufangen und zusammen mit dem Leben und Wirken Anton Bruckners umfassend und spannend darzustellen.

Eine Bereicherung für jeden Bruckner Liebhaber!

Friedrich Buchmayr, geboren 1959 in Linz. Seit 1987 Bibliothekar in der Stiftsbibliothek St. Florian. Veröffentlichungen u. a.: «Der­ Priester­ in­ Almas­ ­Salon» (2003), «Madame­ Strindberg­ oder­ die­ Faszination­ der­ Boheme­» (2011), «Mensch­ Bruckner!­ Der­ Komponist­ und­ die­ Frauen» (2019) im Müry Salzmann Verlag.

Felix Diergarten, geboren 1980, ist studierter Musiker, promovierter Musiktheoretiker und habilitierter Musikwissenschaftler. Nach Professuren an der Schola Cantorum Basiliensis und der Hochschule für Musik Freiburg lehrt er heute an der Musikhochschule Luzern. Diverse Veröffentlichungen, zuletzt «Anton­ Bruckner:­ Das­ geistliche­ Werk»­ (2023) im Müry Salzmann Verlag