Für immer verloren ….
Ich, Julia, liege in meinem Bett und weine. Meine allerbeste Freundin Hanna und ich haben uns zerstritten. So fest, dass wir meiner Meinung nach nie wieder Freundinnen sein können. Am liebsten würde ich meine ganzen Winterferien in meinem Zimmer verbringen. Aber das geht leider nicht, weil Mama und ich morgen nach Österreich fahren. Zum Glück gibt es dort Schnee, nicht so wie hier, nass und kalt. Die ganze Zeit muss ich an die schönen Erlebnisse mit Hanna denken. Ich hoffe, die Ferien mit Mama lenken mich ein in wenig von der Tatsache ab, dass ich ab jetzt ein freundinnenloses Leben führe, jedenfalls bis ich eine neue gefunden habe.
„Julia hast du schon gepackt?“, das war meine Mutter. „Nein habe ich noch nicht.“
Am nächsten Morgen, als alles eingepackt und im Kofferraum unseres Autos verstaut ist, fahren Mama und ich los. Wir besprechen unsere Ferienpläne. Ich erfahre, dass es dort ein Hallenbad gibt. Endlich kann ich ihr auch von meinem schlimmen Streit mit Hanna erzählen. Mama sagt: „Ach Julia, in deinem Alter kommen und gehen die Freundinnen wie Sandkörner am Meer, du findest bestimmt schon bald eine Neue.“ „Aber…“ So sehr ich Mama auch mag – in solchen Sachen versteht sie mich einfach nicht. An einer Raststätte kaufen wir ein Sandwich.
Als wir endlich im Hotel ankommen, bin ich de. Ich schaue mir das Zimmer an, in dem wir die nächsten vier Tage wohnen werden. Es ist schön hier. Ich lege mich in das bequeme Bett und schlafe eine Weile. Als ich aufwache, ist es schon bald Zeit fürs Abendessen. Ich ziehe mir frische Kleider an und gehe mit meiner Mutter ins Restaurant. Dort hole ich mir Spaghetti. Am Buffet treffe ich ein Mädchen. Sie scheint etwa in meinem Alter zu sein. Wir sprechen miteinander und es stellt sich heraus, dass das Mädchen Mira heisst und tatsächlich zwölf Jahre alt ist, wie ich. Wir verabreden uns für morgen zum Skifahren. Ich laufe wieder zum Tisch zurück und bin ziemlich glücklich – verglichen zu gestern.
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück warte ich am verabredeten Ort auf Mira. Ich denke schon, dass sie mich vergessen hat, aber dann sehe ich sie kommen. „Hi Julia, sorry dass ich zu spät bin. Wir ziehen bald um und ich musste mit meinen Eltern noch etwas besprechen.“ „Kein Problem“, sage ich. „Wollen wir los?“, fragt Mira. Wir fahren den ganzen Vormittag Ski und haben viel Spass. Gegen Mittag gehen wir Pommes essen. Dann sagt Mira: „Ich muss wieder zurück ins Hotel, meine Eltern warten auf mich.“ Wir machen ab, dass wir uns um vier Uhr in der Lobby zu einem Brettspiel treffen.
Als ich zurück ins Hotelzimmer komme, sagt Mama mit einem Grinsen im Gesicht: „Na, was habe ich gesagt?“ „Was meinst du?“, frage ich. „Dass du bald eine neue Freundin finden wirst, oder wer war dieses Mädchen da unten?“ „Das war Mira, sie ist wirklich sehr nett!“, antworte ich schnell, um ihre nervige Fragerei zu beenden.
Ich komme pünktlich um Vier in die Lobby. Freudig stelle ich fest, dass Mira schon da ist. „Hi!“, begrüsse ich sie. „Was spielen wir?“, fragt Mira. Ich antworte: „Monopoly wäre toll!“ Wir spielen sehr lange. Mira erzählt, dass sie leider schon übermorgen heimfahren müssen. Darauf erwidere ich: „Wir müssen aber unbedingt nochmal zusammen Skifahren.“ „Ja, sicher, sollen wir noch zusammen ins Hotelschwimmbad gehen?“, fragt sie. Freudig stimme ich ihrem Vorschlag zu. Wir holen unsere Badesachen und gehen zum Schwimmbad. Es ist schön und gross hier! Wir schwimmen eine Weile. Mira ist erstaunlich schnell und gut. Ich frage sie, wo sie das gelernt hat. Sie erzählt, dass sie im Schwimmverein sei und diesen Sommer sogar einen Wettbewerb gewonnen hat. Ich wünschte, ich könnte auch so gut schwimmen.
Am nächsten Morgen treffen Mira und ich fast gleichzeitig am vereinbarten Treffpunkt ein. Als wir beim Skilift schon fast oben sind, weiss ich plötzlich, was ich sie schon lange fragen wollte. „Du Mira…“, beginne ich, aber in diesem Augenblick ruft sie: „Oh nein, Julia, ich habe meinen Skistock verloren!“ „Den holen wir uns wieder!“ Wir fahren bis am Nachmittag. Morgen reist Mira ab. Deshalb haben wir besprochen, dass wir heute gemeinsam Abendessen. Wir haben es lustig und die Er- wachsenen verstehen sich auch gut. Mira und ihre Eltern fahren morgen schon um acht Uhr los. Ich habe ihr versprochen, dass ich extra früh aufstehe, um mich noch von ihr zu verabschieden. Danach gehe ich ins Bett. Ich kann nicht schlafen und drehe mich in meinem Bett hin und her. Jetzt weiss ich auch wieder, dass ich Mira nach ihrer Adresse fragen will. Das mache ich morgen.
Am nächsten Tag stehen wir alle auf dem Vorplatz, verabschieden und umarmen uns. Mira und ich müssen weinen. „Ich vermisse dich jetzt schon!“, flüstert sie mir ins Ohr. Alle steigen ein, ihr Vater startet den Motor und sie fahren los. Ich winke dem Auto nach, bis es um die nächste Kurve verschwindet. Da fällt mir plötzlich siedend heiss ein, dass ich ihre Adresse nicht habe. Ich renne bis zur Kurve, aber das Auto ist ver- schwunden. Jetzt habe ich auch meine zweite, beste Freundin verloren. Ich kann es nicht fassen, am liebsten würde ich die Zeit zurückdrehen! Den Rest des Tages fahre ich mit Mama Ski, das macht wenig Spass. Nach dem Abendessen packen auch wir unsere Sachen.
Nach einer unruhigen Nacht fahren Mama und ich am nächsten Tag los. Niemand spricht ein Wort. Ich überlege wie es wohl wäre, wenn Mira neben mir wohnen würde, bestimmt wären wir unzertrennlich, vielleicht gingen wir zusammen in den Schwimmverein und in dieselbe Klasse! Ich vermisse sie. Auf die Schule morgen freue ich mich überhaupt nicht.
Am Tag danach in der Schule ignoriert mich Hanna, das stört mich eigentlich nicht. Es klingelt und alle stürmen ins Klassenzimmer. Plötzlich steht Frau Martin, unsere Klassenlehrerin in der Tür. Sie begrüsst uns mit „Hallo zusammen, ich möchte euch ein neues Klassenmitglied vorstellen.“ Hinter ihrem Rücken tritt ein Mädchen hervor. „Mira!“, rufe ich, renne nach vorn und umarme sie. Ich bin überglücklich!
Maëlle Schenk, 5. Klasse
Laudatio zu „Für immer verloren“ den Siegertext von Maëlle Schenk in der Kategorie C
Maëlle Schenk erzählt mit ausgesprochen viel Empathie von einem Mädchen im Strudel ihrer Gefühle. Eine Geschichte davon, dass das Leben oft nicht so verläuft, wie man sich das wünscht. Maëlle stopft ihre Geschichte aber nicht mit überschwänglichen Emotionen voll, sondern schreibt stimmungsvoll und authentisch. Sprachlich überzeugt ihr Text ebenfalls. Sie erzählt klar und nimmt begonnene Erzählstränge wieder auf, formuliert gekonnt und weiss, wie sie dramaturgisch bauen muss. Ich gratuliere!
Gallus Frei, Literaturvermittler, Jurypräsident
Die 20 besten Geschichten werden in einem Büchlein abgedruckt, dass ab Mitte Juni bei der Schulverwaltung Amriswil käuflich zu erwerben ist.
Jury für den Schreibwettbewerb 2020/2021 :
Katja Alves, 1961 in Coimbra, Portugal geboren. Verfasserin von Radiotexten und Hörspielen, Romanen, Sachbücher für Kinder und Erwachsene. Daneben arbeitet Katja Alves arbeitet sie als leitende Lektorin für den NordSüd Verlag. katjaalves.ch
Jens Steiner, 1975 in Zürich geboren, schreibt seit zwölf Jahren Bücher für Erwachsene und Kinder. Seit Kurzem lebt er an der deutschen Ostseeküste. jenssteiner.ch
Urs Bader, Lic. phil. I Universität Zürich. Von 1984 bis 2019 Redaktor beim St.Galler Tagblatt, lebt in Amriswil.
Gallus Frei-Tomic, 1962 in St. Gallen geboren, Primarlehrer in Amriswil, Literaturvermittler und seit 2020 Programmchef im Literaturhaus Thurgau. literaturblatt.ch
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