Gestern waren wir zur nachträglichen Geburtstagsfeier des Vaters der Gastgeberin eingeladen. Man hatte mit der Feier gewartet, bis die Delegation aus der Schweiz angereist war. Vor dem Haus hatte man in aller Frühe ein Vorzelt aufgebaut. Immer mehr Verwandte treffen ein. Man begrüsst sich und die Schweizer, lächelt uns an und wenn wir den Handschlag anzeigen, fasst man meine Rechte mit beiden Händen. Die meisten Frauen begeben sich in die Küche im hinteren Teil des Hauses mit einer Türe zum „Garten“, aber wie fast alle Räume in diesem Haus ohne Fenster. Die Männer sitzen um einen der runden Tische, rauchen, trinken Tee mit Eis, später dann Bier. Während es am Tisch staatsmännisch zu und her geht, geht in der Küche die Post ab. Man lacht, jauchzt, macht Witze und wenn der Schweizer in der Küche erscheint und mit Gesten seine Bewunderung für das bereits Zubereitete zeigt, kichern die Frauen. Bei den Männern zirkuliert ein Papier. Man erklärt, dies sei die Rede für den Jubilaren, aber der Redner weigere sich, das Geschriebene vorzutragen, weil zu viel „schöngeschrieben“ sei. Man diskutiert und streicht und schlussendlich trägt einer der vielen Brüder der Gastgeberin den Lobpreis vor. Anschliessend Fotoshootings mit dem Gefeierten, der auf seinem Schoss all die Flugpostumschläge mit Geld festhält.
Die Vorbereitungen dauern noch. Ein junger Mann wäscht mit Mineralwasser Pilze vor dem Haus. Wenn die Flaschen leer sind, wirft er sie ins mannshohe Grün gleich nebenan. Ich mache einen kleinen Spaziergang (Vietnamesen machen keine Spaziergänge). Von dem einstigen Paradies ist nicht viel übrig geblieben. Hier steht ein neueres Haus, dort gammelt ein verlassenes vor sich hin. Überall Abfall, viel Plastik und Sagex. Das Wasser in den ehemals angelegten Teichen ist braun. Man sieht keine Vögel, kaum Tiere, nur Hühner. Bauruinen und Strassen ins Nichts.
Vor dem eigentlichen Essen wird der vor vielen Jahren verstorbenen Mutter gedacht. Auf einem kleinen Tisch vor der Vitrine mit ihrem Bild tischt man auf und verbeugt sich mit einem Räucherstäbchen in der Hand mehrfach vor Tisch und Bild, verharrt einen Moment, die Andacht ist spürbar. Es scheint, als wäre sie die eigentliche Jubilarin.
Man bittet mich zu Tisch. Es gibt einen Gästetisch, zwei Männertische, zwei Frauentische. Wieder bestimmen die Frauen die Feierlaune. Sie johlen und kreischen. Die Männer bitten mich zu sich. Immer und immer wieder wird mit Bier angestossen, als wolle man mich in einen Rausch stossen. Dazwischen ein Selfie mit mir hier, eines dort. Immer wieder zischt die Öffnung einer Bierdose, bis drei davon vor mir stehen, die ich im Unterschied zu den Einheimischen aus Furcht vor unliebsamen Nachwirkungen ohne Eis, direkt aus der Dose lauwarm trinke.
Das Mal ist köstlich und opulent, vielseitig und dauert. Keine Ahnung, wie man all die Reste in den Kühlschrank in der Küche bringt. Zum Dessert werden Früchte aufgetischt, von denen es an den Bäumen rundum nur so wimmelt, auch in der „Wildnis“.
Was dann auf dem Programm steht, ist für meine Ohren ziemlich unverträglich. Nicht aus ästhetischen Gründen, sondern aus akustischen. So wie es die Vietnamesen grell und bunt lieben, so lieben sie es laut und emotional. Karaoke. Was ursprünglich aus Japan kam, ist hier fester Bestandteil einer Feier geworden. Im Vorraum des Hauses steht ein riesiger Lautsprecher mit einem Bildschirm, den man mit Draht an die Wand gehängt hat. Die Songs der Neuzeit sind triefend und die Gesten der Interpreten auf dem Bildschirm theatralisch. Die Lieder aus der vietnamesischen Tradition für meine Ohren fremd, manchmal schräg, aber viel einfacher, meist nur Gesang mit Saiteninstrumenten. Was mir Mühe macht, ist die Lautstärke. Nicht erst hier am Fest beim Karaoke. Auch in Restaurants ist es laut, in Hotellobbies, auf Booten (wobei es dort der Motor ist, der jedes Gespräch unmöglich macht). Eine der Verwandten singt sicher und mit Esprit, lässt sich auch nicht zweimal bitten, wenn man ihr eines der Mikrofone hinhält.
Sie wissen, wie man ausgelassen feiert. Selbst die Kinder schicken sich in all die Selbstverständlichkeiten. Als wir uns verabschieden, wissen wir genau; das Fest ist noch lange nicht aus!
Beitragsbilder © Gallus Frei-Tomic