Alex Capus war eingeladen im Museum Lindwurm in Stein am Rhein, einem kleinen aber feinen Museum, das BesucherInnen zurück ins 19. Jahrhundert begleitet und darüber hinaus mit einem erstaunlichen Veranstaltungskalender aufwartet, der mit literarischen Leckerbissen zu überzeugen vermag.
André Kaminski starb vor 15 Jahren. Er war Erzähler und Verfasser von Theater- und Fernsehstücken. 1923 in Genf geboren wanderte er nach dem Krieg nach Polen, ins Land seiner Vorfahren aus. Als überzeugter Kommunist arbeitete er dort bis zu seiner Ausbürgerung 1968 weiter für Funk und Fernsehen, was er auch zurück in der Schweiz bis 1985 tat. Sein erfolgreichstes Buch war der Roman «Nächstes Jahr in Jerusalem» der bei Suhrkamp immer noch als Taschenbuch erhältlich ist. Kaminski war ein begnadeter Erzähler und Fabulierer. Als ich ihm wenige Jahre vor seinem Tod an einer Lesung in der ersten Reihe sitzend lauschte, offenbarte Kaminski eine Art des Vortragens, die nur ganz selten zu den Fähigkeiten Schreibender gehört. Er las nicht nur einfach Textpassagen aus seinem Buch vor, sondern erzählte, erzählte wie jene Geschichtenerzähler im Arabischen Raum, die ihr mündliches Erzählen zum Beruf machten.
Alex Capus tut dies ganz ähnlich. Er hält keine Lesung, sondern eine Sprechung, erzählt von Schatzsuchern, von Geheimnissen. Er sitzt nicht einfach auf seinem Stuhl hinter Mikrofon und Tisch und liest. Er steht da und erzählt, manchmal mit Pausen, die mich irritieren, aber mit jener Portion Souveränität, die mich fast im gleichen Moment dann doch wieder in den Bann zieht. Und damit freue ich mich auf das neue Buch von Alex Capus. Vielleicht der erste Roman, in dem er wirklich von sich selbst erzählt. Er wird in dem im kommenden Herbst bei Hanser erscheinenden Roman von Max erzählen, der in seiner Heimatstadt (Olten?) eine Bar betreibt und zum ersten Mal wirklich allein ist, von seiner Frau getrennt.
Capus und Kaminski, Kaminski und Capus. Beide wussten und wissen, dass Schreiben nicht ohne ein lauschendes Publikum funktioniert, dass Literatur von beiden Seiten lebt. Capus hat seine LeserInnen. André Kaminski wünsche ich, dass er nicht ganz ins Vergessen abrutscht. Lesen Sie «Nächstes Jahr in Jerusalem», die Geschichte zweier jüdischer Familien in wirrer Zeit, im von Krieg und Revolution erschütterten Europa, im und nach dem Ersten Weltkrieg – alles andere als eine traurige Geschichte.
«Das Leben ist gut» von Alex Capus erscheint bei Hanser im August 2016!