literaturblatt.ch fragt, Teil 4, Beat Brechbühl antwortet.

beat_brechbuehl_Foto_Amanda-GaechterBeat Brechbühl ist Schriftsteller, Dichter und Verleger, unermüdlicher Kämpfer für die Poesie und seit seiner Erstveröffentlichung «Kneuss» 1970 bis zu seiner neusten Veröffentlichung «Farben, Farben» 2015 ein ganzes Leben in Sachen Literatur unterwegs. 1939 in Oppligen, Kanton Bern, geboren, lernte er zuerst Schriftsetzer, wurde dann Redakteur und Verlagsmitarbeiter. Heute lebt Beat Brechbühl als Schriftsteller von Lyrik und Prosa, als Gestalter und Verleger (Waldgut Verlag) in Frauenfeld im Thurgau, Schweiz. Für sein schriftstellerisches Werk wurde er vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis der Schweizerischen Schillerstiftung, dem Bodensee-Literaturpreis, dem Kulturpreis des Kantons Thurgau und dem Buchpreis der Stadt Bern. Zuletzt erhielt er den Anerkennungspreis der Stadt Frauenfeld (2009).

Es gibt Schreibende, die Geschichten erzählen wollen, mit Spannung fesseln. Andere, die politische und gesellschaftskritische Inhalte und Meinungen in literarisches Schreiben verpacken. Was willst du mit deinem Schreiben? Ganz ehrlich!
Für mich ist das Leben: Geschichten. Einige davon finde ich so interessant oder komisch oder ekelhaft, dass ich sie andern erzählen will.

Wo und wann liegen in deinem Schreibprozess der schönste, der schwierigste Moment? Gibt es gar Momente vor denen du dich fürchtest?
Schreiben ist für mich immer schwierig. Ich habe nie leicht geschrieben (Was ist das?). Wie bei anderer Arbeit: Manchmal machts (skeptische) Freude, manchmal machts Ärger (einem selbst und andern), manchmal will ich es einfach machen.
Höhepunkt ist vielleicht, wenn ich die Schreibe gelungen finde. Tiefpunkte: Wenn ich im Thema stecken bleibe, wenn ich die Sprache nicht finde, wenn es mir verleidet. Wer sich vor seinem Schreiben fürchtet, soll es bleiben lassen und etwas anderes tun.

Lässt du dich während des Schreibens beeinflussen, verleiten, verführen? Spielen andere Autorinnen und Autoren, Bücher (nicht jene, die es zur Recherche braucht), Musik, besondere Aktivitäten eine entscheidende Rolle?
Ich lasse mich von Vielem ver- und entführen, denke herum, schwärme, ärgere mich, rege mich auf – doch irgendwann muss die Arbeit die Form und Straffheit bekommen, die ich mir vorgestellt und vorgenommen habe. Und am Schluss wird gekürzt. Das tut oft weh, aber viel weher machts mir, wenn für mich Unnötiges in einem Gedicht, in einer Geschichte drinbleibt.

Hat Literatur im Gegensatz zu allen anderen Künsten eine spezielle Verantwortung? Oder werden Schriftstellerinnen und Schriftsteller gegenüber andern Künsten anders gemessen? Warum sind es vielfach die Schreibenden, von denen man in Krisen eine Stimme fordert?
Was mir in den letzten Jahren immer wichtiger geworden ist: die Gesellschaft. Das gesellschaftliche Zusammenleben. Das friedliche, kreative, selbstverständliche Zusammenleben mit uns Menschen, mit den Tieren, der Erde, der Zukunft. Das ist für mich die / unsere Chance; nicht die einzige, aber die wichtigste. Diesen Sätzen brauche ich nicht anzufügen, dass ich mich dafür in voller Verantwortung denke und fühle; und oft nicht nur für meinen Teil.

Inwiefern schärft dein Schreiben Sichtweisen, Bewusstsein und Einstellung?
Klar schau (höre, spüre, fühle) ich besser hin, wenn ich etwas wieder- oder/und weitergeben will.

Es gibt die viel zitierte Einsamkeit des Schreibens, jenen Ort, wo man ganz alleine ist mit sich und dem entstehenden Text. Muss man diese Einsamkeit als Schreibender mögen oder tust du aktiv etwas dafür/dagegen?
Wenn ich schreibe, versuche ich mich zu isolieren; ich schalte alle möglichen Stör- und Ablenkungsfaktoren aus und ab. Ich will möglichst intensiv in der Geschichte, im Gedicht drin sein, leben, Musik soll mich nicht beeinflussen oder ablenken; die muss in der Geschichte, im Gedicht drin sein. Ich trinke zB keinen Wein zum Schreiben, nur selbst angesetzten Tee.

Gibt es für dich Grenzen des Schreibens? Grenzen in Inhalten, Sprache, Textformen, ohne damit von Selbstzensur sprechen zu wollen?
Ich kenne auch beim Schreiben viele Grenzen. Meist sind es die selbstgesetzten, die einen fördern, fordern, oder hemmen. Grenzenlos ist für mich ein Begriff, in dem ich die Grenzen nicht sehe, spüre, merke. Grenzen nehme ich oft positiv; ich arbeite mit ihnen, selten abweisend. Die bequemsten Grenzen sind die, die ich nicht merke, oder nicht merken will.

Erzähl kurz von einem literarischen Geheimtipp, den es zu entdecken lohnt und den du vor noch nicht allzu langer Zeit gelesen hast?
Was soll ich Geheimtipps verbreiten? Wen es interessiert, soll unser Verlagsprogramm lesen. Wenn ich davon Namen nennen würde, wäre das ungerecht und anmaßend. Also: www.waldgut.ch

Zähl doch 3 Bücher auf, die dich prägten, die du vielleicht mehr als einmal gelesen hast und in deinen Regalen einen besonderen Platz haben?
Robert Walser «Der Gehilfe» (Selbstverständlich habe ich damals die etwa 11bändige Ausgabe im Kossodo Verlag Genf gelesen. Und alles andere auch.)
Arno Schmidt «Zettels Traum» (Auch da: alles alles gelesen. Nur nicht mehr die Suhrkamp Ausgabe; ich kannte das ja alles….)
Orhan Veli Kanık «Fremdartig»

Frisch hätte wohl auch als Architekt sein Auskommen gefunden und Dürrenmatt kippte eine ganze Weile zwischen Malerei und dem Schreiben. Wärst du nicht Schriftstellerin oder Schriftsteller geworden, hätten sich deine Bücher trotz vieler Versuche nicht verlegen lassen, hätte es eine Alternative gegeben? Gab es diesen Moment, der darüber entschied, ob du weiter schreiben willst?
Mit 25 musste ich mich entscheiden: Fotografie oder Schreiben. Da damals in der Fotografie eine neue Mode herrschte (ran ans Objekt ohne Hemmungen…), war mir klar: Schreiben. – Schreiben aufhören, fertig, aus…? Was ist das? Kenn ich nicht.

Was tust du mit gekauften oder geschenkten Büchern, die dir nicht gefallen?„Bücher, die mir nicht gefallen?“ Mir soll ein Buch nicht „gefallen“; ich kaufte Bücher wegen ganz andern Kriterien, zB: muss das haben, will das haben, spricht mit mir, erweitert mich, bringt für mich Neues, usw.
Geschenkt bekomme ich selten etwas, Bücher noch seltener. Wenn ich die nicht haben möchte, kann ich das vielleicht sagen – oder ich sag nix und lege die Bücher an unserem Flohmarkt auf.

Schick mir bitte ein Foto von deinem (unaufgeräumten) Arbeitsplatz.
Fotos von meinem Arbeitsplatz gibt es nicht.
1. hab ich leider schon seit Jahrzehnten keinen Fotoapparat mehr; von einem digitalen rede ich seit Jahren, und
2. handy Foto kann und will ich nicht.
3. Lohnt sich nicht zu fotografieren: Schreibtisch mit Computer drauf. Alles andere soll in meinem Kopf sein; Gedichte schreibe ich nach wie vor von Hand.

Weil ich nicht…

1

Weil ich nicht öffentlich reden kann
und im Live-Interview nicht viel tauge,
bin ich Schriftsteller geworden.

Weil ich nicht singen kann,
bin ich Lyriker geworden.

Weil ich nicht zeichnen und malen kann,
bin ich Gestalter geworden

Weil ich eine charakterlose Handschrift habe,
bin ich Typograph geworden

2

Weil ich nicht schlafen kann,
bin ich Tag- und Nachwandler geworden.

Weil ich nie Motorrad fahren konnte,
bin ich Fussgänger geworden.

Weil ich nicht lügen kann,
bin ich Dichter geworden.

Weil ich dies&das lachen kann,
bin ich kein Humorist geworden.

H1198_200_301Das Gedicht geht noch viel weiter und entstammt seinem Gedichte-Band «Böime, Böime! Permafrost & Halleluja! Erschienen 2014 beim Wolfbach Verlag, Zürich

Lieber Beat Brechbühl, vielen Dank!

Das war der 4. Teil einer kleinen Reihe. Anfang September antwortet Dominique Anne Schuetz. Seien Sie wieder dabei!