Quentin Mouron «Notre-Dame-de-la-Merci», Bilger

Auch wenn Quentin Mouron, Jahrgang 89, noch jung ist, ist dieser schmale, beim Zürcher Bilger Verlag herausgekommene Roman, ein Buch von unsäglicher Tiefe, Traurigkeit und reifer Verzweiflung. Eine Tragödie von sheakespearscher Kraft gepaart mit dem schonungslosen Realismus amerikanischer Erzähler, so gar nicht das, was ich unter nabelfixierter Literatur verstehe.

Quentin Mouron weiss, wovon er erzählt, wuchs dort auf, wo der westeuropäische Tourist die Freiheit vermutet, in den Wäldern von Québec, «zwischen Feuer und Kälte». Der junge Autor erzählt die Geschichte aus einer finsteren Gegenwart, in einem Winter, der nicht nur Kulisse des Geschehens ist, denn die Kälte reisst einem Risse in die Haut. Odette liebt Jean. Daniel liebt Odette und Jean liebt nur sich selbst. Drei kaputte Leben im ewigen Strudel einer Sackgasse. Odette verwittwet und gescheitert, geschunden und verletzt, hält sich mit Drogenlieferungen über Wasser. Daniel, im Würgegriff finanzieller Schulden und dem Elend zuhause, hilft Odette als Kurier, weiss, dass es der falsche Weg aus seinem Elend ist, aber der einzige. Und Jean, der die Polizei ruft, nachdem sich sein Vater im Schuppen erhängte. Jean, ein Möchtegerngangster, dessen einzige Regel er selbst ist, jeden instrumentalisieren will, Odette als Frau, Daniel als img_0138Sündenbock. Drei Schicksale, drei brennende Lunten, die sich unaufhaltsam auf das gleiche Pulverfass hinfressen. Drei Leben, die irgendwann aus dem Tritt gerieten, dasjenige von Jean mit aller Absicht, das von Daniel, weil das Leben mit ihm spielt, das von Odette, weil sie gefangen ist. Daniel und Jean, zwei Archetypen von Männern, die unterschiedlicher nicht sein können. Und dazwischen eine Frau, deren Leben sich an ihr selbst rächt, die nicht aus ihrer Haut schlüpfen kann, trotz allem Zorn, aller Wut.

Das ist die Geschichte. Die Geschichte eines Dreiecks. Aber Quentin Mouron erzählt durch den Roman auch von sich selbst, seinem Schreiben, dem Kampf mit sich, mit seiner Gegenwart, mit der Deformation einer ganzen Generation. Quentin Mouron leidet, verzweifelt und macht 95 Seiten lang keinen Hehl daraus. «Notre-Dame-de-la-Merci» erzählt von seiner Verzweiflung, dass gewisse Leben nie und nimmer umzukehren sind, dass Unglück unabwendbar scheint, die Katastrophe nur immer eine Frage der Zeit. Was der Autor an persönlichen Gedanken in den Roman mischt, ohne ihn zu stören, zwang mich öfters zu mehrmaligem Lesen, weil da jemand mit seiner Verzweiflung an der Welt, mit dem Schicksal der Verlorenen hadert, die nicht wie er selbst eine Stimme haben, ihre Ausgeschossenheit von Glück, Wärme und Liebe.

Starke Literatur von einer starken Stimme. Grund genug, dass Mouron Stimme auch in der deutschsprachigen Welt wahrgenommen wird.

img_0139Quentin Mouron, Schriftsteller und Dichter mit schweizerisch-kanadischen Wurzeln wurde 1989 in Lausanne geboren und verbrachte seine Kindheit in Québec.
Er schrieb bisher fünf Romane und avancierte schnell zum Stern am Himmel der jungen Literatur in der Romandie und in Frankreich.

Webseite des Autors 

(Titelbild: Sandra Kottonau)

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