Christoph Ransmayr «Cox oder Der Lauf der Zeit», S. Fischer

«Fuck, sagte Jakob Merlin, ein bisschen sei ihr Leben hier doch wohl, als strampelten sie allesamt nur selber wie die mechanischen, von unsichtbaren Zahnrädchen angetriebenen Figuren eines Automaten dahin, als atmende Verzierungen einer Maschine, die von Mechanikern kontrolliert und gesteuert wurde, deren Bräuche denen eines anderen Sterns entsprachen; unbegreiflich.»

Der Londoner Uhrmacher Alister Cox wird zusammen mit seinen Gefährten vom chinesischen Kaiser Qiánlóng in die purpurne Stadt Zi jin chéng eingeladen. Alister Cox, der die lange Reise nach China antritt mit dem Schmerz über eine viel zu früh verstorbene Tochter und eine in ihre Stummheit verlorenen Frau, soll abgeschottet in der Verbotenen Stadt Uhren ganz nach den Vorstellungen des allmächtigen, gottähnlichen Kaiserfürsten bauen. Uhren, die nicht einfach die Zeit messen und Spielzeug für den Unermesslichen sein sollen, sondern Lebensuhren; Zuerst eine Uhr, die die Lebenszeit eines Kindes spürbar machen soll. Dann eine Uhr für Todgeweihte und zuletzt ein Uhrwerk, dass die Ewigkeit messen kann. Alister Cox und seine Begleiter tauchen in eine fremde, bizarre Welt der Gegensätze; auf der einen Seite die der überbordenden Sinnlichkeit des Schönen und auf der anderen Seite die Perfektion der Brutalität in der Strenge des chinesischen Imperators. Zudem ist es die Suche eines Mannes, der seine viel jüngere Frau an ihr Schweigen und die Angst vor Berührungen verlor, nachdem die einzige Tochter mit fünf Jahren starb. Ein Mann, der mit der langen Reise an die andere Seite der Welt Nähe in der Distanz zu gewinnen hofft. Erst recht, als er in den kurzen Begegnungen mit einer Konkubine des Kaisers seine Frau und sein Kind wie durch einen Spiegel zu erkennen glaubt. Die Männer mit Alister Cox schrauben und feilen an der perfekten Maschine, am «perpetuum mobile», in einem Palast, in dem «alles nach den Gesetzen und Proportionen des Sternenhimmels vermessen und gebaut, ein bis auf Herzschläge, Atemzüge und Kniefälle geregeltes, höfisches Leben nicht anders umfasste, als ein ziseliertes Gehäuse das Räderwerk einer Uhr».
Qianlong_Empress_(2)Christoph Ransmayrs Absicht war mit Sicherheit nicht einen historischen Roman zu schreiben. Christoph Ransmayr bedient sich der Historie, um vom Dilemma des schöpferischen Menschen zu schreiben. Davon, dass man am einen Ende erschafft, um am anderen Ende zu zerstören. Davon, dass es bei all den vielen Reisen, die der Autor unternimmt, nicht ums Verstehen geht. Ransmayr beschreibt, geschult durch den Blick des Nomaden, wie durch Kraft und Leidenschaft das scheinbar gleichmässige Ticken der Zeit ins Stocken geraten kann, auch durchaus beabsichtigt.
Christoph Ransmayr will nicht abbilden und nacherzählen, ist nur insofern an Geschichte interessiert, als dass sie zur Bühne seines Erzählers wird. Und auf dieser Bühne ist die Hauptperson die Sprache, der wuchtige Klang seiner Sätze, jene Sprache, die genau dort hineinpasst, in jene von Seide, Farben, Figuren, Diamanten, Gold und Edelsteinen durchsetzten Kunstwelt rund um einen entrückten Gottmenschen.
Ein Roman mit satten Farben und klaren Strichen, über Masslosigkeit und das Geheimnis der Zeit.

AF_Ransmayr_Christoph__0901_Druck.jpg.34712914Christoph Ransmayr (1954) wuchs als Sohn eines Volksschullehrers auf. Er besuchte das Stiftsgymnasium der Benediktiner in Lambach und studierte von 1972 bis 1978 Philosophie und Ethnologie. Seit 1982 ist er freier Schriftsteller, lebt in Wien und Irland. Sich selbst bezeichnet er als «Halbnomaden» aufgrund seiner vielen Reisen. Ransmayr verbindet in seiner Prosa historische Tatsachen mit Fiktionen. Charakteristisch für Ransmayrs Romane sind die Schilderung grenzüberschreitender Erfahrungen, die literarische Bearbeitung historischer Ereignisse und deren Verknüpfung oder Brechung mit Momenten aus der Gegenwart. Die Verbindung von spannenden Handlungen und anspruchsvollen Formen haben vor allem in seinen ersten beiden Romanen «Die Schrecken des Eises und der Finsternis» und «Die letzteWelt» viel Lob eingebracht.

Am 22. November liest Christoph Ransmayr im Kaufleuten in Zürich. Moderiert wird die Veranstaltung von Martin Ebel, Literaturredaktor beim Tages-Anzeiger.

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